Viscardi-Gymnasium Fürstenfeldbruck

 

Jahrgang 2011/13

 

Carolin Lindörfer, Seminararbeit im Fach Kunst

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

I. Füllen der Lücke zwischen dem niedrigen Bekanntheitsgrad und der Einzigartigkeit als Baumeister

II. Leben und Wirken

1. Lebenslauf

a. 1645-1713

(1)1645-1689 Eintreffen in Bayern bis zur Entlassung als Hofbaumeister
(2)1689-1702 „Tätigkeiten als freier Architekt“ (Karl-Ludwig Lippert, 1969, S. 129)
(3)1702-1713 „Zweite Amtsperiode als Hofbaumeister“ (Karl-Ludwig Lippert, 1969, S. 129)

b. Zusammenhang Viscardi-Zucalli

2. Besonderer Stil Viscardis

a. Fassadengestaltung
b. Innenraumgestaltung der Dreifaltigkeitskirche

3. Belegen des Stils der Fassadengestaltung

a. Dreifaltigkeitskirche München

(1) Daten und Fakten
(2) Überprüfen der Stilmerkmale

b. Klosterkirche Fürstenfeld

(1) Daten und Fakten
(2) Fassadenvergleich mit der Dreifaltigkeitskirche
(3) Überprüfen der Stilmerkmale

c. Bürgersaal München

(1) Daten und Fakten
(2) Überprüfen der Stilmerkmale

III. Nützlichkeit der verwendeten Literatur


 

Giovanni Antonio Viscardi ist Namenspatron unserer Schule [Viscardi-Gymnasium, Fürsten-feldbruck] und die Meisten wissen auch von der Klosterkirche Fürstenfeld, die nur wenige Kilometer entfernt ist. Jedoch ist allgemein nur sehr wenig über ihn bekannt. Viele Schüler unserer Schule oder auch Andere kennen zwar den Namen Viscardi, können aber kaum etwas mit ihm in Verbindung bringen, da er in der Literatur nur selten auftritt. Meiner Mei-nung nach ist das sehr bedauerlich, da er in Bayern viel Einfluss in die Baukunst genom-men hat und seine Werke wirklich einzigartig sind. Diese Lücke zwischen dem niedrigen Bekanntheitsgrad Viscardis und seiner Einzigartigkeit als Baumeister möchte ich mit meiner Seminararbeit füllen. Zudem soll es für die Schule und deren Schüler eine Berei-cherung und Möglichkeit zur Information sein.

II. Leben und Wirken

1. Lebenslauf

a. 1645-1713

Giovanni Antonio Viscardi entstammt einer graubündener Familie. Viele seiner Vorfahren wie sein Vater Bartolomeo, Großvater Giovanni Antonio und Ur-großvater Bartolomeo übten den Beruf des Maurermeisters oder Baumeisters aus. Somit ist es nicht sehr verwunderlich, dass auch Giovanni Antonio die Tradition weiterführte und im Laufe seines Lebens als Baumeister tätig war.

(1) 1645-1689 Eintreffen in Bayern bis zur Entlassung als Hofbaumeister

Viscardi wird um den 25.Dezember 1645 in San Vittore geboren. Über seine Kindheit und Jugend ist nichts bekannt. Man kann jedoch annehmen, dass er seine Lehre bei den Zucallis absolviert hat, da sein Vater durch seinen frühen Tod als Lehrmeister ausscheidet. Im Frühjahr 1674 wird er zum ersten Mal in Bayern erwähnt.
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Abbildung 1: http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:Viscardi.jpg&filetimestamp=20101227111409
Abbildung 1

Er ist als Palier von Enrico Zucalli angestellt und überwacht die Fundamentie-rungsarbeiten zum Umbau der Wallfahrtskapelle in Altötting. Es ist wahrschein-lich, dass Enrico Zucalli seinen Landsmann Viscardi direkt aus der Heimat für das Bauvorhaben in Altötting eingestellt hat. Die ersten Jahre verbringt Viscardi nur teilweise in Bayern, da er in den Wintermonaten immer wieder nach San Vittore zurückkehrt. Dort heiratet er auch im Frühjahr 1675 seine Frau Maria Magdalena Tognola. Noch im selben Jahr, genauer am neunten Dezember, wird sein erstes Kind Bartolomeo geboren.

1677 muss er schon einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt haben, da er auf Veranlassung des Kurfürsten Ferdinand Maria im Frühjahr mit seiner Familie nach München zieht. Ein Jahr später 1678 wird durch den Tod Caspar Zucallis eine Stelle als Hofmaurermeister frei, die Viscardi übernimmt. Sein Gehalt sind 200 Gulden, zwei Mass Bier pro Tag und die Nutzung eines Gärtleins vor dem Schwabinger Tor. 1680 führt diese Nutzung zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Viscardi und Zucalli. 1685 wird Viscardi, durch die Entlassung von Franz Ignaz Schinnagl, zum kurfürstlichen Hofbaumeister befördert. Sein Gehalt wird somit um 200 Gulden erhöht, was jedoch immer noch nicht ausreicht um seine Familie zu versorgen. Das ist der Grund, weshalb er 1688 eine Auf-besserung zu 600 Gulden im Jahr bekommt. Inzwischen hat Viscardi gute Be-ziehungen. Zuallererst sind es die Jesuiten, die ihn am 13. August 1688 beauf-tragen ein neues Gymnasium in Landsberg zu bauen. Im Mai 1689 wird der Grundstein gelegt und 1691 wird das Gymnasium fertiggestellt. Dies ist der erste selbstständige Bau Viscardis.Über das Privatleben mit seiner Familie weiß man nur sehr wenig, jedoch lebten sie anscheinend in einem sehr vornehmen, von den Adligen bevorzugtem, Viertel in München.

Über die Jahre hinweg hat sich das Verhältnis von Enrico Zucalli und Giovanni Antonio Viscardi immer weiter verschlechtert, bis es 1689 schließlich zur Amts-enthebung Viscardis durch das Generalbaudirektorium kommt. Diese Entlassung wurde sehr wahrscheinlich von Zucalli veranlasst, da er in Viscardi einen Konkur-renten sah und er die freigewordene Stelle Viscardis mit seinem Schwiegersohn Turbilli ersetzte. Diese ersten 12 Jahre von seinem ersten Eintreffen in Bayern 1674 bis zu seiner Amtsenthebung 1689 kann man als seine erste Lebensphase bezeichnen. Er verbrachte diese Zeit vorwiegend mit kleineren, untergeordneten aber auch vielseitigen Tätigkeiten, wie beispielweise Reisen und Beaufsich-tigungen von Bauarbeiten. Außerdem entwarf er Dekorationen für Theater und Oper und errichtete 1687 einen Wasserturm beim Brunnenhaus am Neuhauser Tor in München. Sein wohl erster großer Auftrag war von 1682 bis 1685 der Neu-bau des Münchner Josephspitals und die Errichtung einer Kirche in München. Somit kann man festhalten, dass er einer großen Spannweite an Tätigkeiten nachging.

(2) 1689-1702 „Tätigkeiten als freier Architekt“ (Karl-Ludwig Lippert, 1969, S. 129)

In den nächsten Jahren muss sich Viscardi als freier Architekt bewähren. Durch den Bau des Gymnasiums für die Jesuiten, beauftragt ihn auch Graf Franz Ferdinand von Haimhausen und lässt Viscardi in Zusammenarbeit mit Johann Andreas Wolff das Schloss Haimhausen errichten. Daraufhin häufen sich die Aufträge immer mehr und Viscardi darf für die Benediktiner die Wallfahrtskirche Hl. Kreuz in Loh umbauen und er erhält den Auftrag für die Errichtung einer neuen Klosteranlage für die Zisterzienser in Fürstenfeld. Am 2. Januar 1692 wird durch den Tod von Lorenzo Perti die Baumeisterstelle am Theatinerkloster frei, die Viscardi schließlich am 15. Märzübernimmt. Schon drei Jahre später wird er jedoch ohne Entlohnung entlassen. Er bittet darum in seiner alten Funktion wieder übernommen zu werden, jedoch lehnt Zucalli in einem Gutachten vom 13.2.1696 die Wiederanstellung Viscardis ab.
Die Jahre von 1695 bis 1697 verbringt Viscardi in seiner Heimat San Vittore um wieder zu sich zu finden. Er erhält dort auch einige Ehrungen und übernimmt Ämter, wird „Landamanus“ und„Praeses“ genannt, jedoch erfüllt ihn dieser Aufenthalt nicht wirklich. Zurück in Bayern erhält Viscardi immer mehr Aufträge. Von den Münchner Jesuiten wird er zu einigen Ausbau- und Umgestaltungs-arbeiten beauftragt, außerdem bekommt er weitere Aufträge vom Adel und des gehobenen Bürgertums. Für Herzog Maximilian Philipp von Bayern errichtet er das sogenannte „kleine Schloss“ in Türkheim und für die Gräfin Maria Adelheid Theresia von Rivera-Preysing baut er ein Haus in München. Desweitern erhält er von dem Grafen Franz von Haunsperg die Anordnung das Schloss Hofberg zu errichten, für den geheimen Rat Dr. Matthäus von Joner den Landsitz Neuhofen vor München zu erschaffen und als größte Aufgabe darf er für den Grafen Ferdinand Lorenz Franz Xaver von Tilly das große Bergschloss Helfenberg in der Oberpfalz bauen. Für diese Aufträge, die oft mehrere Jahre andauerten, stellt Viscardi zur Ausführung mehrere Paliere und Bauleiter ein. In München und der Umgebung unterstützen ihn beispielsweise der Stadtmaurermeister Martin Gunezrhainer und Johann Georg Ettenhofer. In Landshut und in der Oberpfalz beschäftigt er weitere Maurermeister. Zu dieser Zeit besitzt Giovanni Antonio noch immer nicht die unverzichtbare, bürgerliche Münchner Maurermeister-gerechtigkeit. Somit kommt es oft zu Beschwerden, da er zeitweise bis zu 150 Angestellte beschäftigt. Im Jahr 1700 beginnt er mit dem Bau von fünf Kirchen, das war der Höhepunkt seines Lebens und man kann sagen, dass er um diese Zeit einer der fleißigsten Baumeister in Bayern war. Er startet mit Fertigung der Pfarrkirche Steindorf, mit der Prämonstratenserkirche , heute St. Peter und Paul in Neustift, er beginnt mit dem Umbau der Jesuitenkirche Augsburg, er fängt mit dem Bau der Zisterzienserabteikirche Fürstenfeld an und errichtet eines seiner Hauptwerke, die Wallfahrtskirche Mariahilf zu Freystadt.

(3) 1702-1713 „Zweite Amtsperiode als Hofbaumeister“(Karl-Ludwig Lippert, 1969, S.129)

Sein dritter und letzter Lebensabschnitt, beginnt mit dem Jahr 1702. Er bittet das Hofbauamt um eine Wiederaufnahme und wird Anfang 1702 erneut zum Hof-baumeister ernannt. Kurz darauf übernimmt er eine Position am Schleißheimer Schloss, wo auch Zucalli tätig ist. Daraufhin entfacht der Streit zwischen den beiden Landsmännern erneut. Zucalli übt Widerstand gegen die Einstellung Viscardis, doch der Hof entscheidet sich für Viscardi und überlässt ihm die lei-tende Position. Desweiteren wird er für den Bau der zwei neuen Pavillons am Schloss Nymphenburg angestellt und nur kurze Zeit später erhält Viscardi schlussendlich auch das Bürger- und Meisterrecht in München. Durch das Eintreffen der Österreicher in Bayern 1704, wird Viscardi in die höchste Position erhoben und erhält nach der Entlassung von Zucalli und seinem Unterbaumeister Giovanni Andrea Trubillio 1706 das Amt als Hofoberbaumeister. Gleichzeitig entwirft er Pläne für die Dreifaltigkeitskirche in München. In seinen letzten Lebensjahren arbeitet er als Gutachter, erübernimmt Tätigkeiten in Hofdiensten und erhält noch einige Aufträge an Kirchenbauten, wie die Kapelle und das Kloster der Benediktinerinnen und den Bau der Bürgersaalkirche in München von 1709-1719. Zusätzlich schließt er die Arbeiten an der Wallfahrtskirche Mariahilf in Freystadt ab und setzt den Bau an der Prämonstratenserkirche in Neustift fort. Nach einigen weiteren Aufträgen auch in Niederbayern, beginnt er 1711 mit seinem wohl künstlerischen Hauptwerk, der Dreifaltigkeitskirche in München. Am 10. Juli 1713 wird er aufgrund seiner Arbeiten zum „Hof-, Ober- und Landbau-meister“ ernannt, jedoch stirbt er kurze Zeit später und wird am 9. September auf dem Franziskaner Friedhof beerdigt.

Nach seinem Tod vollendet Johann Georg Ettenhofer die Anfertigung der Drei-faltigkeitskirche unter der Aufsicht von Enrico Zucalli.

b. Zusammenhang Viscardi-Zucalli

Wie auch Viscardi, entstammt Enrico Zucalli aus dem Kanton Graubünden in der Schweiz. Er ist um das Jahr 1642 in Roveredo geboren und wanderte 1669 mit seinem Vetter Gaspare nach München aus. Dort übernahm er anfangs einige untergeordnete Tätigkeiten, arbeitete sich schließlich aber bis zum Oberhof-baumeister hoch. Zum Umbau der Wallfahrtskapelle in Altötting 1674 berief er Viscardi direkt aus der Heimat nach Bayern, um seine Unterstützung als Palier wahrzunehmen.

Das war wohl das erste Aufeinandertreffen der beiden Landsmänner. Zunächst blieben die großen Aufträge natürlich Zucalli vorbehalten, wie die Arbeiten an der Schleißheimer Schlossanlage. Hier führte Viscardi nur bei Abwesenheit von Enrico Zucalli die Aufsicht über die Arbeiten. Durch einige Uneinigkeiten ver-schlechterte sich das Verhältnis der beiden immer weiter, bis es dann zu einem großen Streit über die Nutzung einen Gärtleins von dem verstorbenen Caspar Zucalli kam.

Es entbrannte eine Gegnerschaft, die dazu führte, dass Viscardi auf Anraten von Zucalli aus dem Amt des Baumeisters enthoben wurde und durch Zucallis Schwiegersohn Turbilli ersetzt wurde. Viscardi musste den Hof verlassen und so trennten sich die Wege der beiden zunächst. Jeder der beiden hatte eigene, von dem anderen unabhängige, Aufträge. 1702 jedoch begegneten sie sich erneut. Nach mehreren Bittgesuchen Viscardis wurde er wieder als Hofbaumeister eingestellt. Kurz darauf bekommt er eine Stelle am Schleißheimer Schloss. Hier wird er, trotz dem Widerstand Zucallis, der ebenfalls dort tätig war, in eine der führenden Positionen eingesetzt. Nach dem Tod Viscardis 1713 übernimmt Zucalli die Aufsicht über die Fertigstellung der Dreifaltigkeitskirche. Es ist sehr verwunderlich, dass Zucalli, für den Viscardi sein ganzes Leben lang einer der größten Gegner war, die Aufsicht über einen Bau übernimmt, der schlussendlich Viscardis künstlerisches Hauptwerk darstellt. Jedoch muss man anmerken, dass Zucalli, Viscardi, mit der Fertigstellung seines wohl größten und bedeutendsten Werkes, die letzte Ehre erweisen wollte. Mit dem Tod Viscardis, hat Zucalli den Streit zwischen ihm und seinem Landsmann endlich begraben. Bei der finalen Ausführung der Dreifaltigkeitskirche in München hielt sich Zucalli genau an die Pläne von Giovanni Antonio.

2. Besonderer Stil Viscardis

a. Fassadengestaltung

Bei fast allen Bauwerken verwendet Viscardi Stilmerkmale, die für ihn bezeich-nend sind. Wenn man einige Bauten von ihm vergleicht, fällt auf, dass sie in einem mehrgeschossigen Aufbau gegliedert sind und oft das Mittelfeld, welches meist durch Säulen oder Pilaster begrenzt ist, ein wenig breiter gehalten ist als die Seitenteile.
Auch die stark eingerollten Voluten, die er meistens als Verbindungselement von der „Fassadenspitze“ bis zum eigeschossigen Teil der Fassade verwendet, fallen deutlich bei einem Vergleich auf.

Des Weiteren findet man im Mittelfeld oft Fenster oder Nischen mit Figuren, die den Architrav berühren oder durchschneiden.
Die Fenster sind bei Viscardi besonders anzusprechen, da er immer verschiedene Größen und Formen verwendet. Beim Bürgersaal sind es beispielsweise Hoch-rechteckfenster, Rundbogenfenster und ein Kreisfenster. Bei der Dreifaltig-keitskirche findet man rechteckige Fenster, hochovale Fenster und Quer-ovalfenster, die neben der unterschiedlichen Größe, auch noch in ein besonderes System eingeordnet sind, das später noch genauer erklärt wird.
Die Blendballustrade, die auch sehr oft zu finden ist, dient Viscardi als Verschönerungsmittel, ist aber jedoch nicht so auffallend wie die verdrehten Säulensockel. Sie bringen Dynamik in die Fassade und sind wohl das auffälligste Stilmittel Viscardis.

b. Innenraumgestaltung der Dreifaltigkeitskirche


© Carolin Lindörfer

Man kann sagen, „daß Viscardis Intentionen dahin zielen, den Raum nicht als ein unbewegtes, in seinen Begrenzungen stereometrisch eindeutig faßbares Gebilde zu begreifen, sondern ihn mit Kontrasten und Dynamik zu beleben“ (Karl-Ludwig Lippert, 1969, S.39). Viscardi behält dabei eine unkomplizierte Raumstruktur bei und verwendet als künstlerisches Mittel nur raumbegrenzende und raumbildende Wände, denen er eine besondere Gestaltung verleiht.

Viscardis wohl bedeutendste Werk ist die Dreifaltigkeitskirche. An der Fassade und an der Innenraumgestaltung kann man erkennen, dass er dort all seine künstlerischen Gedanken ausgelebt hat. Somit ist diese Kirche am geeignetsten um seinen Stil bei der Innenraumgestaltung deutlich zu machen. Da Viscardi zur Zeit des Barock lebte, findet man in der Dreifaltigkeitskirche auch einige Merk-male, die für den Barock bezeichnend waren.

Betrachtet man zunächst den Grundriss, so gibt es schon einige Verwirrungen. Durch die Abschrägungen an den eigentlichen vier Ecken, des Quadrats in der Mitte und durch die darüber liegende Kuppel, könnte man meinen, dass der Grundriss der Kirche eine runde Form hätte, so wie es im Barock häufig angewandt wurde. Jedoch setzt Viscardi an das große Quadrat noch vier weitere Kreuzarme an. Die zwei seitlichen Nischen sind dabei doppelt so breit wie tief. Der Altarraum und der Eingangsbereich haben die gleiche Breite wie das Quadrat, setzen vorne und hinten also genau an. Durch diese besondere Gestaltungsweise wird der zuerst rund vermutete Grundriss in die Form eines Langbaus gerückt.

Desweitern ist die Lichtführung anzusprechen. Wie im Barock üblich, verwendet Viscardi in der Dreifaltigkeitskirche und auch bei all seinen anderen Kirchen hell verglaste Fenster. So kann das Licht der Sonne in den Raum besser eintreten und die ganze Pracht kann zum Vorschein kommen. Wenn man sich den Innenraum genau ansieht, entdeckt man an manchen Ecken auch einige Spiegel.
Sie sind nicht ohne Grund an den Wänden aufgehängt, da sie nicht nur dazu dienen das Licht, das durch die Fenster einströmt, zu verbreiten, sondern auch dazu beitragen, dass der Raum viel größer erscheint.


© Carolin Lindörfer

Ein ganz besonderes Augenmerk muss man aber auf die Säulen im Inneren der Dreifaltigkeitskirche legen, da sie eine entscheidende Rolle für die Dynamik des Raums spielen. An allen Ecken und Kanten findet man jeweils eine Säule. Wenn man das Ganze etwas gliedert, kann man erkennen, dass jedes Kreuz-armrechteck mit vier Säulen besetzt ist und noch zwei Säulen in den Ecken des Altarraums zu finden sind.
Das Gliedersystem mit den Säulen, das an den vier Pfeilerkomplexen verwendet wurde, bildet dabei einen großen Kontrast zu den flächigen Abschlusswänden in den Nischen. Die Fläche der vier Pfeiler wird durch die Säulen in jeweils drei gleiche Teile geteilt.Das Verhältnis zueinander ist aber aufgrund der Säulen an den Kanten der Abschrägung doppeldeutig. Die Kapitelle und Gebälkver-kröpfungen der Säulen sind parallel zu den Seitenwänden angeordnet, was ihre Funktion als Auflager der Tonnengurte an den Seitenwänden der Kreuzarme widerspiegelt. Die Säulensockel folgen im Gegensatz zu den Kapitellen, den Schrägwänden. „Im ersten Fall werden die genannten Säulen mit den Ecksäulen in den Kreuzarmen verbunden, rahmen deren Seitenwände und betonen im gesamträumlichen Gefüge die Kreuzstruktur; im anderen Fall treten sie selbst als Rahmung der Schrägseiten zusammen und verdeutlichen, den Kernraum zu-geordnet, die Zentralstruktur.“ (Karl-Ludwig Lippert, 1969, S.39). Zusammen-fassend erscheinen die Säulen also drehbar, was eine besondere Gestaltungs-möglichkeit ist, um den Innenraum dynamischer erscheinen zu lassen.

 


© Carolin Lindörfer

 

Zuletzt muss man noch das Kuppelfresko von Cosmas Damian Asam erwähnen. Der Stuck von Johann Georg Bader an der Kuppel und an den Fenstern war schon vollendet, als Cosmas Damian Asam beauftragt wurde. Bei der Gestaltung seines Freskos an der Kuppel, hat er keine Rücksicht auf den schon vorhandenen Stuck genommen. Wie man bei genauerem Hinsehen erkennen kann, überdecken einige Elemente des Freskos Teile der Verzierungen um die Fenster. Manche Teile des Stucks hat Cosmas Damian Asam sogar ganz verschwinden lassen. Als Beispiel, kann man den Schwanz eines Tieres nennen, der in den - das Fenster umrahmenden - Stuck hineinragt. Zudem sind einige Elemente über den Fenstern, wie die muschelartigen Formen, an manchen Stellen komplett überdeckt, sodass man meint, Bader hat hier vergessen das fehlende Element noch anzubringen.

Besondere Aufmerksamkeit sollte man auch auf das Teil des Freskos lenken, das sich nicht auf den durch die Attika begrenzten Kuppelraum beschränkt. Das Stück des Freskos, das einen relativ großen Umfang hat, hängt über die Attika hinüber und verdeutlicht so die Plastizität des Gemäldes. Diese Gestaltungs-weise unterstützt auch die Absicht Viscardis den Raum mit Kontrasten, Span-nung und Dynamik zu beleben. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Cosmas Damian Asam auch die Fresken in der Klosterkirche Fürstenfeld fertigen durfte.

3. Belegen des Stils der Fassadengestaltung

a. Dreifaltigkeitskirche München


© Carolin Lindörfer

(1) Daten und Fakten

Im Sommer 1704 hatte die Jungfrau Maria Anna Lindmayr die Vision, dass München von den Verwüstungen verschont bleiben würde, wenn die drei Stände eine Kirche zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit errichten. Schließlich gelang es ihr, die Repräsentanten der Bürger, des Adels und der Geistlichkeit zu überzeugen. Der Bauplatz für die Kirche und das anschließende Kloster entstammt aus dem Besitz von Maria Anna Lindmayr selbst. Den Auftrag zum Bau bekam Giovanni Antonio Viscardi mit Unterstützung des kaiserlichen Hofes.

1730 wurde die Dreifaltigkeitskirche von den Münchner Ständen den Karmelitinnen übergeben. Jedoch wurde 1802 das Kloster aufgehoben und die größere Lateinische Kongregation erwarb die Kirche. Heute dient die Dreifaltigkeitskirche als Nebenkirche der Dompfarrei „ Zu Unserer Lieben Frau“.

(2) Überprüfen der Stilmerkmale


© Carolin Lindörfer

Viscardi gestaltet das Mittelfeld und die zwei inneren Seitenfelder zweige-schossig und die zwei äußeren Seitenfelder eingeschossig. Er verwendet sechs, vor der Wand freistehende, Säulen, die jeweils an den Ecken und Kanten angeordnet sind und die Fassade so in fünf Felder einteilen. Die Säulen spielen eine große Rolle, da Viscardi sie in der Richtungsänderung der Fassade berücksichtigt.

Die zwei äußersten Säulen sind wegen der frontalen Gebälkverkröpfung denäußeren, geraden Wandstücken zugeordnet. Ihre Sockel „[...] hingegen sindübereck gestellt, erscheinen „herausgedreht“ und weisen damit auf die Bewegung der inneren Seitenteile hin [...]“ (Karl-Ludwig Lippert, 1969, S.33). Die vier anderen Säulen sind aufgrund der - der Wand parallel folgenden - Ge-bälkverkröpfungen den zwei inneren Wandteilen zugeordnet.

Ihre Sockel sind ebenfalls parallel zur Wand angeordnet. Wenn man also die Sei-tenfelder frontal betrachtet, sind die Säulen und ihre Sockel normal angeordnet. Dreht man jedoch seinen Blickwinkel und schaut die Fassade frontal von vorne an, so erscheinen die Sockel nach vorne herausgedreht. Viscardi verwendet die Säulen und ihre Sockel also als besonderes „Extra“ zu der kompliziert gestalteten Fas-sade.
Viscardi gebraucht in seiner Fassadengestaltung zwei Voluten, die das Ober-geschoss des Mittelfeldes seitlich begrenzen. Sie bilden das zweite Obergeschoss über den zwei inneren Seitenfeldern und sind sogleich ein dekoratives Gestal-tungsmittel.
Da das Mittelintervall vollständig zweigeschossig ist, und die zwei äußeren Sei-tenfelder eingeschossig bleiben, verwendet Viscardi die Voluten als dynamischen Übergang von der „Fassadenspitze“ bis zu dem eingeschossigen Teil der Fassade. Wie in Freystadt spielen die Fenster auch bei der Dreifaltigkeitskirche eine wich-tige Rolle. Viscardi benutzt auch hier Fenster bzw. Öffnungen mit verschiedenen Größen und Formen.
Diese Fenster und Öffnungen sind nicht einfach planlos ausgesucht, Giovanni Antonio hält sich bei der Wahl an ein Kompositionsprinzip „[...], welches man als „steigende Dreiergruppen“ bezeichnen kann [...]“ (Karl-Ludwig Lippert, 1969, S.34). An den äußeren Wandfeldern findet man unten und oben jeweils ein kleineres, rechteckiges Fenster und in der Mitte ein hochovales Fenster. An den Schrägwänden gebraucht Viscardi unten ein Rechteckfenster, das an den Schmal-seiten mit einem einspringenden Halbkreis geschlossen ist, darüber ein größeres Rechteckfenster mit Korbbogenschluss und darüber ein querovales Attikafenster. Im Mittelfeld nutzt er ein großes Rechteckfenster mit Korbbogenschluss, darüber ein Querovalfenster in der Attika und im zweiten Obergeschoss findet man eine rechteckige, halbkreisgeschlossene Rundnische mit der Kupferstatue des Hl. Michael. Das Außenfeld, die Schrägwand und das Mittelfeld enthalten also jeweils drei Fenster.
Von diesen drei Fenstern ist nun jeweils eines mit dem Hauptgebälk verbunden. Ganz außen ist es das Oberste, im Seitenfeld ist es das mittlere Fenster und im Mittelfeld ist es das untere Fenster, das mit der Oberkante den durchlaufenden Architrav berührt. Jedoch muss man anmerken, dass das äußere Fensterpaar lediglich an den Architrav anstößt.

In den Schrägwänden entsteht durch das Korbbogenfenster eine leichte Aufbie-gung des Architravs und im Mittelintervall wird diese leichte Aufbiegung an den Schrägwänden nochmals gesteigert. Hier führt das Fenster regelrecht zu einer Unterbrechung des horizontal durchlaufenden Architravs.
Man hat also in den fünf Fassadenteilen jeweils drei Fenster, von denen je eins mit dem Hauptgebälk verbunden ist. Diese Fenster berühren, verändern und unterbrechen in steigender Weise zum Mittelintervall hin, den Architrav. Das Prinzip der „steigenden Dreiergruppen“ ist also voll erfüllt.
Viscardi lässt die Attika im Mittelintervall und in den beiden Schrägwänden glatt, in den beiden Außenfeldern gestaltet er sie hingegen als Blendballus-trade. Es findet sich keine Erklärung dafür, jedoch könnte man annehmen, dass eine blendballustradenartig gestaltete Attika nur in den beiden Außenfeldern Sinn ergibt. Die beiden äußeren Seitenfelder sind eingeschossig gestaltet und die Attika bildet den Abschluss nach oben.Über den Schrägwänden und dem Mittelintervall folgt jedoch noch ein weiteres Geschoss, die Blendballustrade würde also den Übergang zwischen Untergeschoss und Obergeschoss stören. Bei den Außenfeldern hingegen stört die Blendballustrade nicht - im Gegenteil ist sie nämlich hier ein dekorativer Abschluss der Außenfelder nach oben hin.
Darüber hinaus gestaltet er bei der Dreifaltigkeitskirche das Mittelintervall, im Gegensatz zu den anderen Feldern, etwas breiter. Es wird an dieser Kirche besonders deutlich sichtbar, da die Seitenwände, die an das Mittelintervall angrenzen, schräg stehen und das Mittelfeld somit als „vordere Schauseite“ dient. Der erste Blick des Betrachters gilt dem Mittelintervall, somit erscheinen die Schrägwände viel kleiner, da man sie von frontaler Sicht nur teilweise sieht.
Zuletzt muss man erneut das große Rechteckfenster mit Korbbogenschluss im Mittelintervall ansprechen. Wie vorher erwähnt, ist für Viscardi bezeichnend, dass Öffnungen im Mittelintervall den Architrav durchschneiden. Bei der Drei-faltigkeitskirche ist es das große Fenster, das den horizontal durchlaufenden Architrav unterbricht. Der Grund dafür ist das vorher angesprochene Kompo-sitionsprinzip, das Viscardi bei den Fenstern angewendet hat.

Zusammenfassend kann man erkennen, dass die Dreifaltigkeitskirche keine ge-wöhnliche Fassade besitzt. Viscardi entwickelt hier eine besondere Form, die in dieser Zeit ganz neu für Bayern war. Für den Betrachter erscheint die Fassade „aufgeknickt“ und „aufgebrochen“, da die inneren Seitenteile schräg stehen. Somit gibt es drei nach vorn springende Seiten, die keine gerade Grundlinie ermöglichen. Im Grundriss bilden die drei mittleren Felder die Seiten eines Achtecks. Diese angedeutete Form ist nicht einfach so gewählt, sie nimmt Bezug auf die achteckig gestaltete Kuppel und deutet auf die zentrale Gestalt des Innenraumes hin.

b. Klosterkirche Fürstenfeld


© Carolin Lindörfer

(1) Daten und Fakten

Die Entstehungsgeschichte beginnt mit der Hinrichtung von Maria von Brabant 1256, die auf Verdacht von Untreue von ihrem Mann, dem bayrischen Herzog Ludwig II., veranlasst wurde. Er wandte sich an Papst Alexander IV., um von seiner Schuld befreit zu werden. Als Bußauftrag erhielt der bayrische Herzog die Aufgabe, ein Kloster für zwölf Mönche zu stiften. 1265 übergab er den Mönchen von Fürstenfeld eine Schenkung, die den Grundstein für den Bau des Klosters legte. Heute dient die Kirche als Nebenkirche von St. Magdalena.

(2) Fassadenvergleich mit der Dreifaltigkeitskirche

Auf den ersten Blick erkennt man es vielleicht nicht, wenn man jedoch die Fas-sade der Dreifaltigkeitskirche „zurück knickt“, also in die Gerade zurück bringt, so kann man erkennen, dass die Fassade den zwei oberen Stockwerken der Klosterkirche Fürstenfeld weitgehend entspricht. Dennoch lassen sich, durch die enorme Vergrößerung, einige Qualitätsunterschiede ausfindig machen.

Die Fassade der Klosterkirche Fürstenfeld ist in drei Geschosse aufgeteilt, die nahezu alle gleich hoch sind. Darüber hinaus erscheinen alle fünf Felder gleich groß, man kann kaum erkennen, dass das Mittelintervall breiter ist. Zudem sind die fast gleichförmigen und gleichgroßen Fenster in eine starre Reihung einge-gliedert. Bei der Dreifaltigkeitskirche hingegen haben alle Fenster eine unter-schiedliche Größe, Form und Lage, die Breite der Felder und die verschiedene Höhe der Geschosse wird deutlich.

Somit könnte man annehmen, dass der Fassadenentwurf der Klosterkirche ein Vorgänger der Dreifaltigkeitskirche war, da dieser viel einfacher ist und eine gerade Grundlinie besitzt. Allerdings ergeben die übereck gestellten Sockel nur bei der Dreifaltigkeitskirche Sinn, da sie dort auf die Bewegung der inneren Seitenteile hinweisen. Bei der Klosterkirche gibt es keine Schrägwände, die herausgedrehten Säulensockel haben also keinerlei Bedeutung. Es ist wahr-scheinlich, dass Ettenhofer diese besondere Anordnung einfach auf die Fassade in Fürstenfeld übertragen hat.

(3) Überprüfen der Stilmerkmale


© Carolin Lindörfer

Giovanni Antonio Viscardi schafft eine Fassade mit drei Geschossen, die an-nähernd alle gleich hoch sind. Dabei sind die zwei unteren Stockwerke voll aus-gebildet, das oberste Geschoss wird durch ein Giebelgeschoss mit Voluten an den Seiten gebildet.
Wie bei der Münchner Kirche verwendet der Baumeister sechs Säulen im Unter- und Mittelgeschoss, im Obergeschoss sind es zwei. Jedoch sind nur die ge-sockelten Säulen im unteren Stockwerk für die Analyse entscheidend. Sie teilen die Fassade in fünf Felder, ihre Sockel sind übereck gestellt. Allerdings ergibt das keinen Sinn, da die Fassade eine gerade Grundlinie besitzt. Wie oben schon erwähnt, hat man diese besondere Anordnung einfach von der Fassade der Dreifaltigkeitskirche übertragen. Man muss trotzdem anmerken, dass dieses Gestaltungsmerkmal und der besondere Umgang mit Säulen, sowohl an der Fassade, als auch im Innenraum für Viscardi bezeichnend sind.
Auch hier benutzt er zwei stark eingerollte Voluten, die das Obergeschoss seit-lich flankieren. Wie in München, sind sie sehr groß dargestellt und bilden die Verbindung vom Obergeschoss zur Attika. Die Voluten sind hier eine Maßnahme zur Verschönerung, da sie einen sehr dynamischen und lockerenÜbergang vom Giebelgeschoss bis zu den zwei unteren Geschossen bilden. Im Untergeschoss der Klosterkirche Fürstenfeld findet man in jedem Feld jeweils ein Langfenster, wobei die drei Mittleren aufgrund der Portale verkürzt sind. Ein Geschoss höher gibt es ebenfalls in jedem Feld ein Langfenster. Hier ist aber nur das Mittlere aufgrund des dreieckigen Giebels verkürzt. Zudem sitzt über jedem Langfenster noch ein kleineres Vierpaßfenster. Im Gegensatz zur Münchner Dreifaltigkeits-kirche sind die Fenster hier alle streng und gleichmäßig angeordnet und liegen auf derselben Höhe, bilden also eine horizontale Linie. Auch zwischen den Formen wurde nur minimal variiert. Es gibt nur zwei unterschiedliche Fenster-formen und auch die Langfenster im Unter- und Mittelgeschoss besitzen nur einen kleinen Unterschied.
An der Fassade in Fürstenfeld findet man unter dem Giebelgeschoss eine Attika, die als Blendballustrade ausgebildet ist. Lediglich im mittleren Feld fehlt diese Ausbildung. Grund dafür ist der segmentbogige Giebel, der mit seiner Größe die ganze Fläche einnimmt und somit die Ausbildung als Blendballustrade nicht ermöglicht.
Die durch die sechs Säulen geteilte Fassade ist so gestaltet, dass das Mittel-feld ein kleines bisschen breiter ist als die anderen Felder. Allerdings ist das, im Gegensatz zur Dreifaltigkeitskirche, schwer zu erkennen. Eine Erklärung könnte die enorme Vergrößerung bei der Übertragung der Münchner Fassade nach Fürstenfeld gewesen sein.
Im Untergeschoss über dem Hauptportal befindet sich ein kurzes Langfenster mit einem sehr dekorativen Rahmen. Dieser Rahmen durchschneidet mit seiner oberen, abschließenden Wölbung, minimal den darüber liegenden Architrav. Viscardi behält es also auch hier bei, dass er Öffnungen im Mittelintervall den Architrav durchschneiden lässt.

c. Bürgersaal München


© Carolin Lindörfer

(1) Daten und Fakten

Im Jahr 1610 wurde die „Marianische Deutsche Kongregation der Herren und Bür-ger zu Unserer Lieben Frauen Verkündigung“ durch den Jesuitenpater Georg Schrettel in Verbindung mit sieben anderen Bürgern in München gegründet. Zunächst teilte sich die Marianische Männerkongregation mit der Congregatio Maior Latina einen Saal im Jesuitenkolleg, der jedoch aus allen Nähten platze.
Durch Spenden konnte schließlich ein Grundstück an der Neuhauser Straße er-worben werden, was bedeutete, dass nur wenige Monate später, genauer im August 1709, der Grundstein für einen eigenen Versammlungsraum gelegt werden konnte.

Nach der Auflösung des Jesuitenordens 1773, wurden der Bürgersaal 1750 zu einer öffentlichen Kapelle und „[...] 1778 durch den Freisinger Fürstbischof Ludwig Joseph von Welden zu einer Kirche zu Ehren der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, der Allerheiligsten Jungfrau Maria und des Heiligen Josef geweiht [...]“ (Schnell & Steiner, 2009, S.7). Nach vielen Renovierungsarbeiten (Beschädigungen aufgrund von Fliegerangriffen im zweiten Weltkrieg) wird der Bürgersaal heute als Kirche und Kongregationsmuseum genutzt.

(2) Überprüfen der Stilmerkmale


© Carolin Lindörfer

Zwischen der Dreifaltigkeitskirche und dem Bürgersaal gibt es äußerlich einen großen Unterschied, obwohl beide, nur unweit voneinander, in München stehen. Dieser große Unterschied bei der Fassadengestaltung ist auf den Zweck zurück zu führen. Auf der einen Seite gibt es den Bürgersaal, der sich mit seiner schlichten, rechteckigen Fassade in die Häuserzeile einordnet und eigentlich nur als Versammlungsraum genutzt wurde. Auf der anderen Seite ist es die Drei-faltigkeitskirche, die durch ihre komplexe Fassade, von den anderen Häusern heraussticht. Sie ist jedoch im Unterschied zum Bürgersaal eine Votivkirche.

Der Bürgersaal setzt sich aus drei Feldern zusammen, die alle zweigeschossig aufgebaut sind. Lediglich über dem Mittelfeld erhebt sich noch ein Giebel-geschoss, das man als drittes Stockwerk bezeichnen könnte. Viscardi bleibt hier keine andere Möglichkeit, als eine rechteckige Fassade zu entwerfen, da sich der Bürgersaal mit seiner Größe in die Häuserzeile einreihen soll.
An diesem Bau finden sich keine Säulen, somit gibt es auch keine übereck gestellten Sockel. Grund dafür sind ebenfalls die angrenzenden Häuser. Wenn Viscardi Säulen in die Fassadengestaltung mit einbauen würde, so würde es keine „glatte“ Fassade mehr geben, der Bau würde also herausspringen und eine Einreihung wäre nicht mehr möglich.
Der Graubündner Baumeister verwendet auch hier Voluten, die als Verbindung zwischen dem Giebelgeschoss und der Attika dienen. Allerdings sind beim Bürgersaal die Voluten, im Gegensatz zu den anderen Kirchen, sehr klein ge-halten. Bei der Dreifaltigkeitskirche und auch bei der Klosterkirche Fürstenfeld dienen sie als eigenes Geschoss, hier sind sie nur minimal sichtbar, da sie keine große Aufgabe besitzen. Es ist anzunehmen, dass Viscardi seinem Stil treu blei-ben wollte und nicht auf die Verwendung von Voluten verzichten wollte. Da der Bürgersaal vollständig zweigeschossig ist, hatte er nicht viele Möglichkeiten Voluten anzubringen. Das ist der Grund weswegen er die Verbindung des Giebel-geschosses mit der Attika, als Ort für die Anbringung von schwungvollen, dynamischen Voluten auswählte. Viscardi benutzt auch hier Fenster verschiede-ner Größe und Form. Im Untergeschoss sind es eher klein gehaltene Hochrecht-eckfenster mit bogenförmig eingezogenen Ecken. Sie berühren, wie auch einige Fenster bei der Dreifaltigkeitskirche, mit ihren Einfassungen den Architrav. Im Obergeschoss befinden sich drei größere Rundbogenfenster, die mittlere Öffnung ist allerdings größer und nimmt somit die ganze Höhe des zweiten Geschosses ein. Im Gegensatz zu früher, als sich im Giebelgeschoss eine kleine Öffnung mit freihängender Glocke befand, ist dort heute ein Kreisfenster angebracht.
Die Fenster am Bürgersaal sind nach keinem Kompositionsprinzip angeordnet oder ausgesucht, man kann eher sagen, dass sie, wie bei der Klosterkirche Fürstenfeld, starr in eine Reihe gebracht wurden.Über dem nach obenhin ab-schließendem Hauptgesims befinden sich über den Seitenfeldern Attikaauf-sätze, die als Blendballustrade gestaltet sind. Diese Gestaltung ist auch über das Giebelfeld weitergeführt. Es gibt keinen besonderen Grund dafür, die Blend-ballustradengestaltung dient lediglich als Verschönerung des Abschlusses nach obenhin.
Wie man nur schwer erkennen kann, ist das Mittelfeld am Bürgersaal breiter gestaltet. Hinweise darauf geben nur die Pilaster der Doppelgruppen neben dem Mittelintervall, die etwas weiter auseinandertreten.
Im Mittelintervall, direkt über dem Hauptportal, erhebt sich eine Figurennische, die wie ein Rundbogenfenster gestaltet ist und deren Rahmung sehr detailliert und aufwändig ausgeführt ist. Diese Figurennische durchschneidet fast mit einem Viertel ihrer Gesamthöhe den horizontal durchlaufenden Architrav. Bei genauerem Hinsehen wird auch die auf dem Architrav angebrachte Schrift durch die weit nach oben ragende Öffnung unterbrochen. Ebenfalls an den Architrav „angehängt“ sind die beiden Seitenfenster im Untergeschoss und das obere Fenster im Mittelintervall.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es sehr schwierig war Informationen über Viscardi zu finden. Sehr hilfreich war Karl-Ludwig Lipperts Buch „Giovanni Antonio Viscardi“ , da es neben einem kurzen Lebenslauf, auch sehr detaillierte Analysen mehrerer Bauwerke enthält. Man erfährt Wissenswertes über die besondere Fassaden- und Innenraumgestaltung der Dreifaltigkeitskirche, dem Bürgersaal, der Mariahilfkirche in Freystadt, dem Kloster Fürstenfeld und vielen anderen. Jedoch ist der Lebenslauf oft nicht vollständig und an manchen Stellen nur sehr knapp gehalten. Das war der Grund, weshalb ich mehrere Male in Zendrallis „Graubündner Baumeister und Stukkatoren in deutschen Landen zur Barock- und Rokokozeit“ nachgeschlagen habe. Dort findet man eine Vielzahl an mehr oder weniger bekannten Baumeister und Stukkatoren, bei denen auch die Familie Viscardi und Zucalli enthalten ist. Der Lebenslauf war hilfreich um die Lücken aufzufüllen und auch die Informationen über Enrico Zucalli haben dazu beigetragen die Beziehung zu Viscardi deutlich erscheinen zu lassen. Die Kirchenführer zum Bürgersaal, der Klosterkirche und der Dreifaltigkeitskirche waren nützlich um allgemeine Informationen über die Kirchen, wie beispiels-weise deren Entstehungsgeschichte herauszufinden. Hoffentlich konnte ich die Lücke nun mit meiner Seminararbeit füllen und vielleicht habe ich es sogar geschafft bei dem ein oder anderen das Interesse für Viscardi und seine Werke zu wecken.

Literaturverzeichnis

  1. Lippert Karl-Ludwig, Verein für Diözesangeschichte von München und Freising ( Hrsg.), Giovanni Antonio Viscardi, München, Franz X. Seitz & Val. Höfling, 1969
  2. Ramisch Hans, Götz Roland, Dreifaltigkeitskirche München, Regensburg, Schnell & Steiner GMBH, 20076
  3. Bachmair Thomas, Schnell Hugo, Pfister Peter, Ehemalige Zisterzienserabteikirche Fürstenfeld, Regensburg, Schnell & Steiner GMBH, 1994
  4. Klemenz Birgitta, Klosterkirche Fürstenfeld – Zwischen Zeit und Ewigkeit, Regensburg, Schnell & Steiner GMBH, 2004
  5. Zendralli Dr. A.M., Graubündner Baumeister und Stukkatoren in deutschen Landen zur Barock- und Rokokozeit, Zürich, Fretz & Wasmuth, 1930
  6. Dr. Lothar Altmann, Präfekt Diakon Horst Th. Esterer, Dr. Christoph Kürzeder, Präses P. Peter Linster SJ, P. Rupert Mayer, Bürgersaal München, Regensburg, Schnell & Steiner GMBH, 20095
  7. Kirchenführung durch die Dreifaltigkeitskirche und den Bürgersaal vom Münchner Bildungswerk
  8. Verschiedene Wikipedianutzer, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Viscardi.jpg
    &filetimestamp=20101227111409
    ,
    letzte Änderung am 20.08.2012, aufgerufen am 01.11.2012

 

Carolin Lindörfer, Althegnenberg, 1.11.2012