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Ein Blick aus dem Fenster
ein Lehrgang zur Perspektive für die 8. Jgst des Gymnasiums
von Uli Schuster
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Raumdarstellung ist in der Kunsterziehung immer ein Thema, sei es bei der Konzeption erzählerischer Aufgaben in der Unterstufe, wo es mehr intuitiv, unsystematisch und ohne geometrische Ordnungsvorstellungen angegangen wird, sei es bei der Einführung perspektivischer Regeln etwa ab der 7. Jahrgangsstufe, wo sich die Frage stellt, wie man das komplexe und geometrisch auch anspruchsvolle System der parallelen und zentralen Projektion in verdaubaren Portionen an die Schüler heranträgt.
Diese Unterrichtseinheit zeigt einen möglichen Einstieg in die Zentralprojektion über einen frontalperspektivischen Anblick, der den Schülern eigentlich vertraut ist, sie aber in der zeichnerischen und malerischen Darstellung vor eine ganze Reihe von Problemen stellen wird.

Erste Stunde:Fluchtende Linien - Demonstration mit Hilfe eines Dias oder dgl.
Ein Anblick, der einem Vierzehnjährigen vertraut sein dürfte: Ein Weg, eine Straße, ein Schienenstrang auf freiem Feld. Wenn die Straße lange genug gerade verläuft, der Blick weit genug reicht, dann stellt sich zum Beispiel dieses Bild ein. 
Die Schüler beschreiben das Phänomen:

Die Ränder der Straße scheinen aufeinander zuzustreben. In der Fachsprache der Perspektive sagt man 'sie fluchten auf einen Punkt' und lassen sich als Fluchtlinien bildhaft darstellen. Im städtischen Bereich oder im Gebirge ist so ein Anblick eher selten wahrnehmbar.
Die Bodenfläche - sofern sie nur eben genug ist - hat eine sichtbare Grenze mit dem Himmel, die wir auch in der Umgangssprache als Horizont bezeichnen. In diesem Bild ist der Horizont nicht sichtbar, weil ihn Bäume und Häuser verdecken, aber man kann ohne Mühe ahnen, wo er erscheinen würde, wenn das grüne Feld sich endlos in die Tiefe erstrecken würde. 
Soweit scheint die Frontalperspektive eine recht einfache Sache zu sein. Das wird sich aber schnell ändern. Wir halten jedenfalls fest: 

  • Parallele Geraden erscheinen in der Perspektive verzerrt sich auf einen Punkt hin zu bewegen. Dieser Punkt wird Fluchtpunkt genannt.
  • Die Bodenebene scheint eine endliche Grenze zu haben, die wir als Horizont bezeichnen. Da die Straße in der Bodenebene liegt, markiert auch der Horizont für sie eine Sichtgrenze. Ihr Fluchtpunkt liegt auf dem Horizont.

Ein Blick des Fahrers aus dem Autofenster
Demonstration mit Hilfe eines Dias

Der Blick aus dem Frontfenster eines fahrenden Autos müßte jedem Kind bekannt sein. Perspektivisch stellt uns dieses Bild allerdings vor Probleme, die nicht mehr jeder Vierzehnjährige schnell und gründlich begreifen wird. Man kann als Lehrer folgenden Versuch machen: 

Lassen Sie Ihre Achtkläßler so eine Situation nach einer Projektion bei laufendem Projektor, also nicht nach dem Gedächtnis (!) abzeichnen. Die Schüler tauschen dann mit ihren Nachbarn die Zeichnungen und überprüfen folgende Punkte:
  • Haben die Zeichnungen der Schüler einen Horizont?
  • Fluchten die orthogonalen Linien alle in einem Punkt?
  • Wie groß ist das vordere Auto?
  • Wie hoch ragen die vorderen Bäume?

Zweite Stunde: Was wir sehen und was wir darstellen
Die Stunde beginnt sinnvollerweise mit einer Betrachtung einzelner Schülerarbeiten im Vergleich mit dem Dia, das abgezeichnet werden sollte.
Um das perspektivische Liniengerüst aus der Projektion herauszulösen, projizieren wir das Dia auf eine Papierfläche und zeichnen mit einem dicken Filzstift ein: Die Straßenränder, den Horizont, den Mittelstreifen und die Fahrradwege sowie die von den Baumwipfeln gebildete Flucht. Folgende Punkte werden in einem Arbeitsblatt festgehalten:
 
Beim Blick des Fahrers aus dem Autofenster
  • liegt der Horizont etwas unter der halben Bildhöhe (ein höherer Horizont vermittelt den Eindruck in einem Lastwagen zu sitzen oder in einem Flugzeug über der Straße zu fliegen )
  • schneiden die Straßenränder den Bildrand im rechten unteren Bildeck und den linken Bildrand etwas über dem ersten Drittel der Höhe (der Mittelstreifen läuft in etwa auf das linke untere Bildeck zu. Nur so entsteht der Eindruck, dass sich das Auto auf der rechten Straßenseite befindet. Bei einem Überholmanöver würden diese Schnittpunkte gespiegelt.)
  • der Horizont ist keine Obergrenze für Dinge, die auf der Bodenebene stehen (so bilden die Baumwipfel eine Flucht von oben nach unten.)
  • Dann sammeln wir die Probleme:
    Die Straßenbreite verkürzt sich genauso regelmäßig wie die Baumhöhen oder die Längen der Mittelstreifen. Wie ermittle ich zeichnerisch diese regelmäßige Verkürzung gleicher Maßeinheiten?

    Die perspektivische Verkürzung (die vier Zeichnungen zum Ergänzen als Arbeitsblatt vorgeben)
    Aufgabe:
    auf der Straße wird ein Rechteck abgesteckt, gebildet durch die Straßenränder und zwei zum Betrachter parallele Linien, z. B. im Abstand von zwei Alleebäumen, Begrenzungspfosten etc. Das abgesteckte Rechteck erscheint perspektivisch verzerrt als Trapez
    Wie ermittle ich den halben Abstand zwischen den Pfosten, wie den doppelten Abstand?
    Den halben Abstand zwischen den Punkten B und C (aber auch A und B) erhalte ich über die Diagonalen des Rechtecks. Die perspektivische Mitte finde ich also über die Diagonalen des Trapezes. Die Diagonale AC verlängere ich über C hinaus bis zum Horizont. 
    Nicht nur für die Richtung der Straße ist ein Fluchtpunkt denkbar. Auch die Diagonalen gleicher rechteckiger Abschnitte auf der Straße sind zueinander parallel, müssen also nach unserer ersten Erkenntnis einen gemeinsamen Fluchtpunkt besitzen.
    Auf diesem Weg können wir ermitteln, wie sich gleiche Abstände in der Tiefe verkürzen. Damit haben wir einen klaren Anhaltspunkt für die Platzierung von Alleebäumen, Begrenzungspfosten, Laternenpfählen am Straßenrand etc. Den Fluchtpunkt der Diagonalen nennen wir Diagonalfluchtpunkt. Er ist für die Frontalperspektive ein ganz entscheidendes Hilfsmittel zur Ermittlung der perspektivischen Verkürzung.
    Für unseren Blick aus dem Autofenster, diesmal etwas höher, vielleicht aus einem Lastwagen, ergäbe das etwa nebenstehende Konstruktion.
    Die perspektivische Wirkung dieser Zeichnung wird unterstützt durch ein Verblassen der Linien nach hinten. Das sollen auch die Schüler übernehmen.

    Erste Aufgabe (4 Std): Möblierung eines perspektivischen Gerüsts
    Nach diesen Vorarbeiten sollen die Schüler auf ein Zeichenblatt der Größe DIN A3 ein Fenster etwa in der Größe A4 quer zeichnen und darin einen Blick aus dem Autofenster entwerfen, den sie mit den Requisiten der Straße ausstatten: Häuser, Landschaft, Autos, Fußgänger, Verkehrszeichen, Straßenbeleuchtung etc. Dabei gehen wir aus von dem Liniengerüst, das wir dem Dia entnommen haben und ich zeige zur Anregung ein weiteres Dia mit Häusern, Bäumen und parkenden Autos am Straßenrand sowie einem begrünten Mittelstreifen.

    Zur Erinnerung:

    • Der Horizont liegt etwas unter der halben Höhe des Bildfensters
    • Der rechte Straßenrand schneidet den rechten Bildrand etwas oberhalb der unteren Bildecke
    • Der linke Straßenrand schneidet den linken Bildrand etwas unterhalb des Horizonts
    • Wie ermittle ich die Lage des Mittelstreifens? (Strecke AB halbieren)
    • Wie ermittle ich den Diagonalfluchtpunkt für die regelmäßige Verkürzung von Tiefenabständen?
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    Zwei Schülerarbeiten. In der linken hat die Schülerin die Höhe des Autos unterschätzt, aber sonst einen recht realistischen Eindruck erzeugt. Rechts sind in der engen Gasse die Haustüren passend für die zu klein geratene Passantin mit Kinderwagen in der Höhe geschrumpft. Aber solches kommt bei den besten Arbeiten vor!
    Eine Erweitrerung der Aufgabe kann darin bestehen, der Aussenansicht eine Innenansicht des Cockpits aus der Fahrersicht hinzuzufügen, etwa wie hier geschehen. Für diese Arbeit wurde ein Blatt im Format A3 in der Mitte gefaltet. Die beiden Ansichten sind so aufs Blatt zu verteilen, dass man nach dem Ausschneiden des Fensters den Blick nach aussen hinter den Fensterausschnitt klappen kann.

    Farbe und Raum
    In diesem Stadium der Arbeit könnte man die Aufgabe erweitern um das Raumproblem Farbe.Ein fotografisches Bild aus einem Katalog dient zur Klärung einiger räumlicher Farbphänomene.
    • An Gegenständen des Vordergrunds lassen sich Formen und Farben feiner unterscheiden als an weiter entfernten Dingen
    • Formen des Vordergrunds sind schärfer umrissen als weiter entfernte Formen
    • Farben des Vordergrunds sind frischer und reiner als Hintergrundfarben, die entweder blaß und trüb oder dunkel wirken.
    • Die Farbe Grün 'verblaut' auf größere Entfernung

    2. Aufgabe: Farbtrübung und Verblauen
    Wir arbeiten im Computerraum mit Photoshop. Am Zentralrechner wird erst einmal vorgeführt, dann arbeiten die Schüler je einzeln an einem Rechner.
    Für jeden Schüler wurde ein eigenes Verzeichnis angelegt. Darin findet er Bilder zur Auswahl: Diverse Himmel, Horizonte, eine freigestellte Straße mit und ohne Auto vom Lehrer mit der Digitalkamera aufgenommen.
    Erster Schritt
    • Wie erstelle ich ein leeres Bildfeld 400x200 Pixel? 
    • Wo finde ich im Farbfeld ein getrübtes Grün?
    • Wie wähle ich eine grüne Hintergrundfarbe und zeichne damit eine Hügelkette?
    • In welchen Tonstufen nähere ich mich dem Vordergrund an?
    • Wie benenne und speichere ich mein Bild richtig ab? 
    Zweiter Schritt
    • Wie erstelle ich einen Farbverlauf von Weiß nach Blau?
    • Wie positioniere ich diesen Verlauf auf einer neuen Ebene über dem ersten Bild?
    • Was kann ich durch Einstellen von Transparenz erreichen?
    • Wie maskiere ich den Himmel und schneide ihn aus? 
    Dritter Schritt
    • Wie hinterlege ich der Bergestaffel einen fotografischen Himmel?
    • Welcher Himmel passt zu der dargestellten Lichtsituation?
    • Wie setze ich vor die Bergestaffel einen fotografischen Vordergrund (in die richtige Größe bringen, richtig platzieren, verschieben, radieren, transparent machen ...)?
    Vierter Schritt
    • Wie möbliere ich die kahlen Bergrücken und den Horizont mit Versatzstücken fotografischer Bilder (Verkleinern, Transparenz, Layertechnik)?
    • Wie weiche ich den scharf linearen Horizont auf (verschmieren)?
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