Wilhelmsymnasium München / Gymnasium Ottobrunn |
Jacques-Louis David (1748-1825),
Der Tod des Marat,
1793, 165x128cm, Öl auf Leinwand, Kgl. Museen Brüssel Fächerübergreifendes Unterrichtskonzept für die Oberstufe des Gymnasiums von Ernst Wagner und Eva Stolpmann |
Das Dokument enthält zwei Zugänge zu dem Bild, den Zugang eines Kunstlehrers und den einer Geschichtslehrerin. Beide wollten anhand dieses Bildes einmal ausprobieren, wie sich ein geschichts- und kunstträchtiges Bild im Zugriff der beiden Fächer darstellt. |
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Davids
Bild vom toten Marat ist am Ende des 18.Jhs ein Historienbild neuen
Typs in einer radikal neuen Ausdrucksweise, die sich – tagespolitisch begründet
– deutlich gegenüber dem höfischen Barock als bürgerlich
absetzt und für das kommende Jahrhundert wegweisende formale Prinzipien
formuliert. Die SchülerInnen interpretieren das Bild im Unterricht
– am besten in einem Bildvergleich (z.B. mit einem barocken Herrscherbild,
der Pieta Michelangelos, El Lissitzkys „Lenin auf der Rednertibüne“
oder dem Pressefoto des toten Uwe Barschel in der Badewanne) nach folgenden
Leitfragen:
Beiden
Leitfragen folgt die hier vorgelegt Analyse
Potentielle
kunstgeschichtliche Nebenthemen wären z.B.:
Allgemeine
Ikonografie / Tod / Pietá
Funktion
des Historienbildes als Gattung
Kunstlandschaft:
Frankreich / Künstler: David
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Im
Vergleich mit einem barocken Historienbild werden bereits auf den ersten
Blick große formale Unterschiede deutlich: die Darstellung eines
wichtigen, zeitgenössischen Politikers nackt und tot, die bühnenhafte
Beleuchtung, die Reduktion des Kolorits und der große leere Hintergrund.
David
rückt den Betrachter ganz nahe an das Geschehen heran: die Unterkante
des Holzklotzes ist mit dem Bildrand identisch, der rechte Teil der Badewanne
ist vom Bildrand überschnitten. Alle Details sind deutlich zu erkennen,
das Blut, die Wunde, der Gesichtsausdruck, die Maserung des Holzes, selbst
die Schrift auf den Briefen ist gut zu lesen. Die Lichtführung modelliert
den Körper in harter Plastizität. Doch zur gleichen Zeit wird
alles Anekdotische (das Bild scheint ein Tatsachenbericht eines Mords zu
sein, die Realität wiederzugeben) überwunden und die Figur des
Marat zum heroischen Denkmal stilisiert (s. Abb.). Die intime Nähe
zum Opfer wird in eine Respekt heischende Distanz überführt.
Die
Abbildungen rechts zeigen den Ausschnitt aus dem endgültigen Gemälde
und den (veränderten) Ausschnitt aus der Zeichnung, die David am Schauplatz
des Geschehens gemacht hatte (Gesamtdarstellung s.u.).
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Askese
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Pathos
Die
Nutzung (und Neuinterpretation) einer langen ikonografischen Tradition
von Pietadarstellungen und Grabmalskulpturen liefert signifikante, aber
durch ihre Vertrautheit zugleich distante Muster für die Formulierung
von Pathos (s.Abb.).
In
der Gegenstandsformulierung wird die Badewanne zum antiken Sakrophag, der
Holzklotz zur Grabplatte (À MARAT), der individuelle Körper
zur antiken Plastik mit idealisierter Körperlichkeit.
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Die
Kombination dieser Stilmittel in Bezug auf das Thema ist radikal neu. Auf
diese Weise wird der konkrete Fall (Marats Ermordung) zur Denkmalsinszenierung,
und viceversa das Denkmal durch den neuen und tagespolitischen Inhalt aktualisiert.
Privatheit und Öffentlichkeit, individuelle und historische Aspekte,
Wirklichkeit und Ideal verschränken sich in der Einheit des Bildes.
„Dieses
Bild von David ist ein echtes Meisterwerk. Er legte seine patriotischen
Gefühle hinein, das Pathos eines neuen Heldentums, seine reife Meisterschaft.
Das Bild Davids ist bedeutend mehr als ein Dokument seiner Zeit, als ein
Zeugnis einer der Revolutionsepisoden. Seine harte Wahrhaftigkeit, seine
gemeißelte Klarheit der Form und die spannungsreichen Kontraste von
Hell und Dunkel drücken ... eindringlich den Geist der Revolutionszeit
aus ... In der Gestaltung des Bildes ist etwas von der Verehrung des kalten
Verstandes zu spüren, der viele Zeitgenossen Davids begeisterte.“
(Michail W. Alpatow, Studien zur Geschichte der westeuropäischen Kunst,
Köln 1974, S.289)
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Didaktische
Funktion des Bildes im Geschichtsunterricht (Leitfragen / Kontexte)
Der
Journalist Jean Paul Marat, einer der Wortführer der Jakobiner, wurde
im Juli 1793 von einer jungen, adligen Frau in seiner Badewanne erstochen.
Vom Nationalkonvent beauftragt, stellte der Historienmaler Jacques-Louis
David, ebenfalls ein Anhänger der Jakobiner, diese Tat in einem Bild
dar.
Auf
verschiedenen Ebenen lässt sich das Bild mit seiner Vorgeschichte
im Geschichtsunterricht einsetzen. Der Mord an dem radikalen Politiker
zeigt exemplarisch die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Kräften
in dieser zweiten, radikalen Phase der Revolution auf.
David
stellt das aktuelle Ereignis in einem Gemälde von außerordentlicher
propagandistischer Wirkung dar, aus dem sich die Vorstellungen der Jakobiner
über republikanische Tugend ebenso erarbeiten lassen wie der Versuch
durch einen Marat-Kult eine Ersatzreligion zu schaffen.
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1.
Überblick über die radikale Phase der Revolution
Im
August 1792 wird der König seines Amtes enthoben und ein neugewähltes
Parlament (Konvent) führt die Republik ein. In diese zweite, radikale
Phase der Französischen Revolution, die bis zur Errichtung des Direktoriums
nach dem Sturz Robespierre im Juli 1794 dauert, fällt die Ermordung
Marats.
Nach
dem Zusammentritt des Nationalkonvents im September 1792 verfügen
zwar die gemäßigten Girondisten über eine Mehrheit, aber
der Einfluss der Bergpartei (Les Montagnards) mit Robespierre, Danton und
Marat als ihren wichtigsten Vertretern wächst. Von den Sansculotten
unterstützt, setzten die Jakobiner im Januar 1793 die Hinrichtung
des Königs durch und lösen nach den Hungerkrisen und Aufständen
des Frühjahres 1793 die Girondisten, die zunehmend als erfolglos und
unfähig erscheinen, als mächtigste Gruppierung im Nationalkonvent
ab. Im März 1793 errichten sie das Revolutionstribunal, einen Monat
später den Wohlfahrtsausschuss. Unter der Führung von Robespierre
und Danton, und von Marat durch Reden im Konvent und Artikel in seiner
Zeitung „L’Ami du Peuple” unterstützt, verfolgen die Jakobiner Gegner
der radikalen Revolution und bemühen sich darum die alltäglichen
Lebensverhältnisse neu zu gestalten.
Indem
Marat seinen eigenen Beitrag zur Radikalisierung der Revolution leistet,
gilt er als prominenter Vertreter der Bergpartei und wird so das Opfer
eines politisch motivierten Mordes.
2. Der Mord an Marat: Opfer und Täterin Jean Paul Marat (1743-1793) war Journalist und Herausgeber des Blattes “L’Ami du Peuple” (Der Volksfreund), das die Forderungen der ärmeren Volksschichten nach Entmachtung des Adels und allgemeinem Wahlrecht ebenso unterstützte wie es Terror als legitimes Mittel gegen den Sieg der bürgerlichen Revolution befürwortete. Seine Zeitung war daher immer wieder von Verboten betroffen und Marat selbst zur Flucht gezwungen. Nach seiner Rückkehr nach Paris lebte er, trotz seiner großen Popularität und seiner Stellung als Volksheld, unter kümmerlichen Bedingungen in großer Armut. Er litt unter einem Hautekzem und war 1793 ein schwerkranker Mann, der kaum noch öffentlich auftrat. Die Symptome seiner Krankheit versuchte er durch Bäder und Kompressen zu lindern. Am Abend des 13. Juli 1793 wurde er, als er in der Badewanne sitzend Druckfahnen redigierte, von Charlotte Corday, einem Mädchen aus der Provinz, erstochen. Charlotte Corday, Tochter einer verarmten Adelsfamilie, stammte aus Caen, wo sie Kontakte zu Gruppierungen hatte, die der zunehmenden Radikalisierung der Revolution kritisch gegenüberstanden. Persönliche Schicksalsschläge, wie die erzwungene Flucht ihres Verlobten vor dem Terror und die Hinrichtung des Bruders ihres Bräutigams ließen in ihr den Beschluss reifen, gegen die “Demagogen” vorzugehen. Eigenmächtig entschied sie sich, Marat, als bekanntesten Vertreter der Jakobiner, zu töten. Nachdem sie nach Paris gereist und ein Küchenmesser als Mordwaffe gekauft hatte, änderte sie ihren eigentlichen Plan, ihn im Nationalkonvent zu töten, und versuchte sich Zugang zu Marats Wohnung verschaffen. Es gelang ihr schließlich vorgelassen zu werden. Nach einem kurzen Gespräch mit Marat, in dem er geäußert haben soll, dass er alle bürgerlichen Abgeordneten, die nach Caen geflohen seien, enthaupten lassen wolle, erstach Charlotte Corday Marat. Ein Mitarbeiter seiner Zeitung, der sich in der Wohnung befand, überwältigte die junge Frau und übergab sie der Polizei. Am 17. Juli wurde ihr der Prozess gemacht und sie wurde am gleichen Tag hingerichtet. Am Tag nach der Ermordung ließ sich der Maler Jacques-Louis David (1748- 1825) vom Nationalkonvent den Auftrag erteilen, das Ereignis in einem Märtyrerbild festzuhalten. David hatte sich nicht nur als Maler einen Namen gemacht, der in seinen Bildern konsequent auf die Antike zurückgriff, sondern inszenierte auch Feste als Mittel der politischen Propaganda. In diesem Sinne gestaltete er auch den Trauerzug für Marat: Sein Leichnam mit entblößtem Oberkörper wurde in einer Kirche aufgebahrt und anschließend wurde er in einem Trauerzug durch Paris ins Pantheon getragen. |
Marat
war nicht unter heldenhaften Umständen gestorben, sondern wurde als
schwerkranker Mann, der an einem ausgeprägtem Hautleiden litt, in
einem ärmlichen Raum in einem Badezuber erstochen. David griff zwar
mit der Darstellung des toten Marats ein Ereignis von großer tagespolitischer
Relevanz auf, enthob das Bild jedoch zugunsten der propagandistischen Wirkung
biographischer und historischer Bezüge. So wird das Bild zu einer
hervorragenden Quelle, um die Tugendvorstellungen der Jakobiner und die
Suche nach säkularen Kultformeln in der Französischen Revolution
herauszuarbeiten.
Das
propagandistische Kalkül des Bildes ergibt sich aus einer genauen
Analyse des Bildaufbaus und der prägnanten Bilddetails.
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Bild
streng
geometrischer Aufbau
Körperhaltung
/ weiße Leinentücher
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Wirkung
Monumentalisierung
Marats als Teil einer Inszenierung
Gleichsetzung
Marats mit Christus (Motiv der Kreuzabnahme) Unschuld, Märtyrer
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Bild
Kompositionslinien:
Betonung des Mundes und der Schreibfeder
Weiße,
geflickte Leinentücher/ Holzkiste
Schriftstück
und Assignate (Notgeld)
Brief
der Charlotte Corday
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Wirkung
Marat
im Dienste der Revolution als Redner und Journalist
Armut/
Bescheidenheit Marats
Selbstlosigkeit
(Geldgeschenk für Witwe mit fünf Kindern), Solidarität
mit Opfern der Revolution
Patriotismus/
Tod für das Vaterland
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Textauszug
aus Robespierres Rede vom 7. Februar 1794:
(Klaus
Lankheit, Der Tod des Marats. Stuttgart 1961, S.31)
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