Wilhelmsymnasium München / Gymnasium Ottobrunn
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Jacques-Louis David (1748-1825), Der Tod des Marat, 
1793, 165x128cm, Öl auf Leinwand, Kgl. Museen Brüssel
Fächerübergreifendes Unterrichtskonzept für die Oberstufe des Gymnasiums

von Ernst Wagner und Eva Stolpmann

Das Dokument enthält zwei Zugänge zu dem Bild, den Zugang eines Kunstlehrers und den einer Geschichtslehrerin. Beide wollten anhand dieses Bildes einmal ausprobieren, wie sich ein geschichts- und kunstträchtiges Bild im Zugriff der beiden Fächer darstellt.
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Das Bild im Kunstunterricht
Leitfragen
Davids Bild vom toten Marat ist am Ende des 18.Jhs ein Historienbild neuen Typs in einer radikal neuen Ausdrucksweise, die sich – tagespolitisch begründet – deutlich gegenüber dem höfischen Barock als bürgerlich absetzt und für das kommende Jahrhundert wegweisende formale Prinzipien formuliert. Die SchülerInnen interpretieren das Bild im Unterricht – am besten in einem Bildvergleich (z.B. mit einem barocken Herrscherbild, der Pieta Michelangelos, El Lissitzkys „Lenin auf der Rednertibüne“ oder dem Pressefoto des toten Uwe Barschel in der Badewanne) nach folgenden Leitfragen:
    • Welches sind die Stilmerkmale des Klassizismus? Daran können allgemeine Frage der Stilgeschichte und Stilinnovation angeschlossen werden bis hin zur Diskussion klassizistischer Strömungen in der Moderne. 
    • Wie funktioniert 1793 die Verknüpfung von Kunst und Politik? (Stichworte: Politische Ikonografie / Herrscherbild – Revolutionsbild)
Beiden Leitfragen folgt die hier vorgelegt Analyse
Potentielle kunstgeschichtliche Nebenthemen wären z.B.: 
Allgemeine Ikonografie / Tod / Pietá
Funktion des Historienbildes als Gattung
Kunstlandschaft: Frankreich / Künstler: David
Historischer Hintergrund
 
    • 1789 Mit dem Sturm auf die Bastille erringt das Volk den ersten Sieg über den Absolutismus.
    • September 1791 Der Künstler David wird von den Revolutionären zum Kommissar der Künste ernannt, seit 1792 ist er als Mitglied des „Komitees für öffentliche Unterweisung“ für alle wichtigen Zeremonien und Feste der Revolution zuständig.
    • August 1792 Festnahme des französischen Königs.
    • 21. 9. 1792 Neuer Nationalkonvent, dem auch der Maler David (in einer Partei mit Marat, Danton und Robespierre) angehört; Beschluss zur Abschaffung der Monarchie.
    • 19.1.1793 David stimmt dem Beschluss zur Hinrichtung des Königs zu.
    • März 1793 Flügelkämpfe im Revolutionstribunal enden mit dem Sieg der radikalen Jakobiner, deren Präsident David im Juni wird.
    • 13. 7. 1793 Marat wird von der royalistisch gesinnten Charlotte Corday in seinem Haus in der Badewanne liegend ermordet.
    • David gestaltet die Zurschaustellung Marats in seiner Wohnung, die Leichenprozession und das Begräbnis. Aufforderung Davids durch den Nationalkonvent, ein Maratbild zu malen.
    • 16. 10. 1793 Gedenkfeier für Marat im Louvrehof, Fertigstellung und Hängung des Bildes, Marie Antoinette endet auf dem Schafott
    • November 1793 Marat wird in den Pantheon überführt, Hängung des Bildes im Sitzungssaal des Nationalkonvents. [Notre Dames wird zum Tempel der Vernunft erklärt, David richtet dort das Fest der Vernunft, im Mai 1794 das Fest des höchsten Wesens aus.]
    • Mai 1794 Beginn der Grande Terreur, Hinrichtung Robespierres, zeitweilige Verhaftung Davids
    • Januar 1795 Zerstörung des Grabmals Marats, Entfernung des Bildes aus dem Konvent
    • Mai 1795 erneute Verhaftung Davids, Amnestie Oktober
    • 31. Oktober 1795 Bildung des Direktoriums, Beginn der Vorherrschaft Napoleons
Analyse
Im Vergleich mit einem barocken Historienbild werden bereits auf den ersten Blick große formale Unterschiede deutlich: die Darstellung eines wichtigen, zeitgenössischen Politikers nackt und tot, die bühnenhafte Beleuchtung, die Reduktion des Kolorits und der große leere Hintergrund.
David rückt den Betrachter ganz nahe an das Geschehen heran: die Unterkante des Holzklotzes ist mit dem Bildrand identisch, der rechte Teil der Badewanne ist vom Bildrand überschnitten. Alle Details sind deutlich zu erkennen, das Blut, die Wunde, der Gesichtsausdruck, die Maserung des Holzes, selbst die Schrift auf den Briefen ist gut zu lesen. Die Lichtführung modelliert den Körper in harter Plastizität. Doch zur gleichen Zeit wird alles Anekdotische (das Bild scheint ein Tatsachenbericht eines Mords zu sein, die Realität wiederzugeben) überwunden und die Figur des Marat zum heroischen Denkmal stilisiert (s. Abb.). Die intime Nähe zum Opfer wird in eine Respekt heischende Distanz überführt. 
Die Abbildungen rechts zeigen den Ausschnitt aus dem endgültigen Gemälde und den (veränderten) Ausschnitt aus der Zeichnung, die David am Schauplatz des Geschehens gemacht hatte (Gesamtdarstellung s.u.).

 
Stilmittel
Askese
    • Der scheinbar tiefe Horizont (obwohl der Fluchtpunkt [Betrachterstandpunkt] sehr hoch liegt, scheint sich der Betrachter auf der Kopfhöhe Marats zu befinden) erhöht und monumentalisiert die Figur, der Körper wird mächtig gegen eine unbestimmte, dunkle Hintergrundfolie formuliert (s.Abb).
    • Die streng geometrische Komposition arbeitet mit einfachsten Zahlenverhältnissen und unterwirft so das Arrangement der Bildgegenstände einem deutlich spürbaren, mathematischen Kalkül (s.Abb.).
Kompositionsschema nach Alpatow, mit zusätzlich eingezeichnetem Fluchtpunkt
Pathos
    Die Nutzung (und Neuinterpretation) einer langen ikonografischen Tradition von Pietadarstellungen und Grabmalskulpturen liefert signifikante, aber durch ihre Vertrautheit zugleich distante Muster für die Formulierung von Pathos (s.Abb.).
    In der Gegenstandsformulierung wird die Badewanne zum antiken Sakrophag, der Holzklotz zur Grabplatte (À MARAT), der individuelle Körper zur antiken Plastik mit idealisierter Körperlichkeit.
Die Kombination dieser Stilmittel in Bezug auf das Thema ist radikal neu. Auf diese Weise wird der konkrete Fall (Marats Ermordung) zur Denkmalsinszenierung, und viceversa das Denkmal durch den neuen und tagespolitischen Inhalt aktualisiert. Privatheit und Öffentlichkeit, individuelle und historische Aspekte, Wirklichkeit und Ideal verschränken sich in der Einheit des Bildes.
„Dieses Bild von David ist ein echtes Meisterwerk. Er legte seine patriotischen Gefühle hinein, das Pathos eines neuen Heldentums, seine reife Meisterschaft. Das Bild Davids ist bedeutend mehr als ein Dokument seiner Zeit, als ein Zeugnis einer der Revolutionsepisoden. Seine harte Wahrhaftigkeit, seine gemeißelte Klarheit der Form und die spannungsreichen Kontraste von Hell und Dunkel drücken ... eindringlich den Geist der Revolutionszeit aus ... In der Gestaltung des Bildes ist etwas von der Verehrung des kalten Verstandes zu spüren, der viele Zeitgenossen Davids begeisterte.“ (Michail W. Alpatow, Studien zur Geschichte der westeuropäischen Kunst, Köln 1974, S.289)

 
Das Bild im Geschichtsunterricht
Leitfragen
Didaktische Funktion des Bildes im Geschichtsunterricht (Leitfragen / Kontexte)
Der Journalist Jean Paul Marat, einer der Wortführer der Jakobiner, wurde im Juli 1793 von einer jungen, adligen Frau in seiner Badewanne erstochen. Vom Nationalkonvent beauftragt, stellte der Historienmaler Jacques-Louis David, ebenfalls ein Anhänger der Jakobiner, diese Tat in einem Bild dar.
Auf verschiedenen Ebenen lässt sich das Bild mit seiner Vorgeschichte im Geschichtsunterricht einsetzen. Der Mord an dem radikalen Politiker zeigt exemplarisch die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Kräften in dieser zweiten, radikalen Phase der Revolution auf. 
David stellt das aktuelle Ereignis in einem Gemälde von außerordentlicher propagandistischer Wirkung dar, aus dem sich die Vorstellungen der Jakobiner über republikanische Tugend ebenso erarbeiten lassen wie der Versuch durch einen Marat-Kult eine Ersatzreligion zu schaffen.
.Historischer Hintergrund
1. Überblick über die radikale Phase der Revolution
Im August 1792 wird der König seines Amtes enthoben und ein neugewähltes Parlament (Konvent) führt die Republik ein. In diese zweite, radikale Phase der Französischen Revolution, die bis zur Errichtung des Direktoriums nach dem Sturz Robespierre im Juli 1794 dauert, fällt die Ermordung Marats.
Nach dem Zusammentritt des Nationalkonvents im September 1792 verfügen zwar die gemäßigten Girondisten über eine Mehrheit, aber der Einfluss der Bergpartei (Les Montagnards) mit Robespierre, Danton und Marat als ihren wichtigsten Vertretern wächst. Von den Sansculotten unterstützt, setzten die Jakobiner im Januar 1793 die Hinrichtung des Königs durch und lösen nach den Hungerkrisen und Aufständen des Frühjahres 1793 die Girondisten, die zunehmend als erfolglos und unfähig erscheinen, als mächtigste Gruppierung im Nationalkonvent ab. Im März 1793 errichten sie das Revolutionstribunal, einen Monat später den Wohlfahrtsausschuss. Unter der Führung von Robespierre und Danton, und von Marat durch Reden im Konvent und Artikel in seiner Zeitung „L’Ami du Peuple” unterstützt, verfolgen die Jakobiner Gegner der radikalen Revolution und bemühen sich darum die alltäglichen Lebensverhältnisse neu zu gestalten. 

Indem Marat seinen eigenen Beitrag zur Radikalisierung der Revolution leistet, gilt er als prominenter Vertreter der Bergpartei und wird so das Opfer eines politisch motivierten Mordes.
 

2. Der Mord an Marat: Opfer und Täterin

Jean Paul Marat (1743-1793) war Journalist und Herausgeber des Blattes “L’Ami du Peuple” (Der Volksfreund), das die Forderungen der ärmeren Volksschichten nach Entmachtung des Adels und allgemeinem Wahlrecht ebenso unterstützte wie es Terror als legitimes Mittel gegen den Sieg der bürgerlichen Revolution befürwortete. Seine Zeitung war daher immer wieder von Verboten betroffen und Marat selbst zur Flucht gezwungen. Nach seiner Rückkehr nach Paris lebte er, trotz seiner großen Popularität und seiner Stellung als Volksheld, unter kümmerlichen Bedingungen in großer Armut. Er litt unter einem Hautekzem und war 1793 ein schwerkranker Mann, der kaum noch öffentlich auftrat. Die Symptome seiner Krankheit versuchte er durch Bäder und Kompressen zu lindern.

Am Abend des 13. Juli 1793 wurde er, als er in der Badewanne sitzend Druckfahnen redigierte, von Charlotte Corday, einem Mädchen aus der Provinz, erstochen.

Charlotte Corday, Tochter einer verarmten Adelsfamilie, stammte aus Caen, wo sie Kontakte zu Gruppierungen hatte, die der zunehmenden Radikalisierung der Revolution kritisch gegenüberstanden. Persönliche Schicksalsschläge, wie die erzwungene Flucht ihres Verlobten vor dem Terror und die Hinrichtung des Bruders ihres Bräutigams ließen in ihr den Beschluss reifen, gegen die “Demagogen” vorzugehen. Eigenmächtig entschied sie sich, Marat, als bekanntesten Vertreter der Jakobiner, zu töten. 

Nachdem sie nach Paris gereist und ein Küchenmesser als Mordwaffe gekauft hatte, änderte sie ihren eigentlichen Plan, ihn im Nationalkonvent zu töten, und versuchte sich Zugang zu Marats Wohnung verschaffen. Es gelang ihr schließlich vorgelassen zu werden. Nach einem kurzen Gespräch mit Marat, in dem er geäußert haben soll, dass er alle bürgerlichen Abgeordneten, die nach Caen geflohen seien, enthaupten lassen wolle, erstach Charlotte Corday Marat. Ein Mitarbeiter seiner Zeitung, der sich in der Wohnung befand, überwältigte die junge Frau und übergab sie der Polizei.

Am 17. Juli wurde ihr der Prozess gemacht und sie wurde am gleichen Tag hingerichtet.

Am Tag nach der Ermordung ließ sich der Maler Jacques-Louis David (1748- 1825) vom Nationalkonvent den Auftrag erteilen, das Ereignis in einem Märtyrerbild festzuhalten. David hatte sich nicht nur als Maler einen Namen gemacht, der in seinen Bildern konsequent auf die Antike zurückgriff, sondern inszenierte auch Feste als Mittel der politischen Propaganda. In diesem Sinne gestaltete er auch den Trauerzug für Marat: Sein Leichnam mit entblößtem Oberkörper wurde in einer Kirche aufgebahrt und anschließend wurde er in einem Trauerzug durch Paris ins Pantheon getragen.

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Marat war nicht unter heldenhaften Umständen gestorben, sondern wurde als schwerkranker Mann, der an einem ausgeprägtem Hautleiden litt, in einem ärmlichen Raum in einem Badezuber erstochen. David griff zwar mit der Darstellung des toten Marats ein Ereignis von großer tagespolitischer Relevanz auf, enthob das Bild jedoch zugunsten der propagandistischen Wirkung biographischer und historischer Bezüge. So wird das Bild zu einer hervorragenden Quelle, um die Tugendvorstellungen der Jakobiner und die Suche nach säkularen Kultformeln in der Französischen Revolution herauszuarbeiten. 
Das propagandistische Kalkül des Bildes ergibt sich aus einer genauen Analyse des Bildaufbaus und der prägnanten Bilddetails.
Marat als Märtyrer
Bild
    streng geometrischer Aufbau
    Körperhaltung / weiße Leinentücher


    Farbe Grün (Die Farbe Grün läßt sich historisch erklären, da die Wände des Nationalkonvents mit dieser Farbe ausgeschlagen waren) , Nacktheit

Wirkung
    Monumentalisierung Marats als Teil einer Inszenierung 
    Gleichsetzung Marats mit Christus (Motiv der Kreuzabnahme) Unschuld, Märtyrer
Marat als Inkarnation jakobinischer Tugend
Bild
    Kompositionslinien: Betonung des Mundes und der Schreibfeder 
    Weiße, geflickte Leinentücher/ Holzkiste
    Schriftstück und Assignate (Notgeld)
    Brief der Charlotte Corday

     
Wirkung
    Marat im Dienste der Revolution als Redner und Journalist
    Armut/ Bescheidenheit Marats
    Selbstlosigkeit (Geldgeschenk für Witwe mit fünf Kindern),  Solidarität mit Opfern der Revolution
    Patriotismus/ Tod für das Vaterland
Anhang
Textauszug aus Robespierres Rede vom 7. Februar 1794:
Welches Ziel also streben wir an? Den friedlichen Genuß der Freiheit und Gleichheit; die Herrschaft jener ewigen Gerechtigkeit, deren Gesetze nicht in Stein und Marmor, sondern in die Herzen aller Menschen gemeißelt sind, selbst in das des Sklaven, der sie vergißt, und in das des Tyrannen, der sie leugnet. Wir wollen eine Ordnung der Dinge, in der alle niederen und grausamen Leidenschaften unbekannt sind, wo aber zu allen wohltätigen und großherzigen Leidenschaften gesetzlich aufgefordert wird [...]
Das Grundprinzip der demokratischen oder Volksregierung bzw. ihre wesentliche Triebfeder, die sie erhält und vorwärtsbewegt, ist die Tugend. Ich meine hier die öffentliche Tugend, die in Griechenland und Rom so viele Wunder hervorbrachte und die noch Erstaunlicheres im republikanischen Frankreich hervorbringen wird; eine Tugend nämlich, die nichts anderes als die Liebe zum Vaterland und seinen Gesetzen ist.
In der gegenwärtigen Situation muß die oberste Maxime eurer Politik lauten: Dem Volk gegenüber Vernunft, den Feinden des Volkes Terror!
Wenn die Aufgabe der Volksregierung im Frieden die Tugend ist, so ist die Triebkraft der Volksregierung in der Revolution die Tugend und der Terror. Ohne Tugend ist der Terror verheerend, und die Tugend ist ohne den Terror machtlos. Der Terror ist nichts anderes als ein schnelles, strenges und unerbittliches Gericht, also eine Erweiterung der Tugend [...]

(Wolfgang Lautemann [Hrsg], Geschichte in Quellen. Amerikanische und Französische Revolution. München 1981, S. 392f.)

„Glaubensbekenntnis an Marat“ (für die Etablierung eines Maratkults als Religionsersatz):

Ich glaube an Marat den Allmächtigen, Schöpfer der Freiheit und und der Gleichheit, unsere Hoffnung, den Schrecken der Aristokraten, der hervorgegangen ist aus dem Herzen der Nation und offenbart ist in der Revolution, der ermordet ist von den Feinden der Republik, der ausgegossen hat über uns seinen Gleichheitsatem, der niedergefahren ist zu den Elysäischen Feldern, von dannen er eines Tages kommen wird zu richten und zu verdammen die Aristokraten.

(Klaus Lankheit, Der Tod des Marats. Stuttgart 1961, S.31)