1. Wir betrachten die Kunstgeschichte bis zum 19. Jh gern getrennt
nach den Gattungen der bildenden Künste Architektur, Plastik, Malerei,
Grafik. |
Diese Betrachtungsweise der Künste hat sich erst im 18. Jh so herausgebildet.
Im Mittelalter war das Kochen oder die Jagd so gut eine Kunst wie
das Malen. Allerdings unterscheidet man bis in die Renaissance hinein die
mechanischen Künste von den freien Künsten, was im Prinzip auf
eine Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit hinausläuft.
Insbesondere die Malerei unternimmt seit der Renaissance große Anstrengungen
als geistige Arbeit im Sinn der Artes liberales anerkannt zu werden.
Das Verständnis von Kunst wandelt sich von einem handwerklichen
zu einem akademischen Sinn. Im 20. Jh werden die Grenzen zwischen den
Gattungen der bildenden Künste zunehmend aufgelöst, treten neue
Gattungen hinzu. Wenn wir über Epochen der bildenden Kunst sprechen,
haben die einzelnen Gattungen nicht immer die gleiche Bedeutung: Der Klassizismus
ist eine Epoche bedeutsamer Architektur und Plastik. Die Romantik studiert
man besser in der Malerei. Die Grafik spielt im System der Künste
des 19. Jhs kaum eine Rolle. Als Handzeichnung war sie nur für Künstler
selbst und einige Experten von Interesse, als Druckgrafik steht sie im
Dienst der politischen Agitation oder des täglichen Gebrauchs, was
ihren Rang und ihr Ansehen mindert. Wenn wir also Grafik im 19. Jh betrachten
begeben wir uns gern auf das Gebiet von Gebrauchskunst (z.B. Plakat, Karikatur,
Illustration), ohne uns dabei um stilistische Probleme zu kümmern.
2.Wir betrachten die geschichtlichen Entwicklungen in Europa bis
ins 19. Jh gern bezogen auf einen nationalen Hintergrund. |
Dabei bildet erst das 19. Jh ein Verständnis von 'deutscher Kunst'
aus, ebenso wie andere europäische Staaten erst mit der Gründung
eines Nationalstaats mehr oder weniger mühsam die Identifikation mit
einer nationalen Kultur finden. Dies ist ein für die Völker Europas
insgesamt bedeutsamer Aspekt von Identitätsbildung, der nicht ohne
Komplikationen und Verirrungen verläuft.
So beanspruchen die Deutschen im 19. Jh gern ein germanisches Kulturerbe,
das sich weit über die Grenzen der deutschen Länder erstreckt.
Die Gotik wird in diesem Sinn in nationalen Beschlag genommen aber
auch Rembrandt wird als deutscher Maler vereinnahmt.
Stilistische Entwicklungen waren in der Geschichte immer auch lokal
bedingt. Die Renaissance erscheint in erster Linie als ein italienisches
Phänomen, das auf dem Boden der reichen italienischen Handelsstädte
wächst und durch die Humanisten über Europa verbreitet wird;
der Barock entsteht in den Zentren politischer und religiöser Macht,
in Rom und Paris und wird über die höfischen und kirchlichen
Zentren lokal gefärbt verbreitet. Wenn wir über Klassizismus
sprechen, dann interessieren wir uns vorwiegend für Frankreich und
Deutschland. Der Naturalismus begegnet uns ausgeprägt in England und
den Niederlanden, der Impressionismus erscheint als französische 'Erfindung'.
3. Wir betrachten die Kunstgeschichte (Stilgeschichte) gern isoliert
von der Allgemeingeschichte (von technologischer, ökonomischer, politischer
Entwicklung) |
Die Kunstgeschichte macht sich im 19. Jh auf den Weg eine eigenständige
Wissenschaft zu werden. Diesen Prozeß der Autonomisierung von der
Allgemeingeschichte erreicht sie auf dem Weg der Stilgeschichte. Die Auseinandersetzung
mit dem nationalen Stil oder dem Epochenstil, Einordnung, Ausgrenzung,
Bestimmung von Stilmerkmalen stehen im Vordergrund des kunstgeschichtlichen
Interesses. Dazu kommt, daß Kultur als Geistesgeschichte weitgehend
unabhängig gesehen wird vom gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen
Kontext, in dem sie sich ereignet.
Welche herausragenden historischen Entwicklungen hinterlassen im
19. Jh Spuren in der Kunst?
politische Entwicklung:
Der Übergang von einer nach Landbesitz, Lehen, Gottesgnadentum,
Geburtsprivilegien organisierten Feudalordnung zu einer bürgerlichen,
demokratischen, industriell produzierenden, nach Besitz und Klassen, Kapital
und Arbeit organisierten Gesellschaft bedeutet für die Kunst:
-
den Verlust der feudalen Auftraggeber (Adel und Klerus)
-
die Suche nach neuen bürgerlichen Aufgaben
-
Hinwendung zu neuen Themenschwerpunkten, Landschaft, Portrait, Stilleben
-
das Entstehen eines Verlagswesens und eines Kunstmarktes
-
wachsende Bedeutung des Ausstellungswesens und der Museen (Öffnung
der fürstl. Schatzkammern, Zugang zu bisher privaten Kunstschätzen)
-
wachsende Bedeutung von Künstlervereinigungen, Kunstvereinen
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ökonomische Entwicklung:
Der Übergang von einer agrar und handwerklich bestimmten Produktion
zu Manufaktur und industrieller Produktion (Einsatz von Maschinenkraft
in Weberei, Bergbau, Eisen, Stahl, Kohle, Dampfkraft) sowie die Erschließung
der weltweiten Handels- und Verkehrswege (Kolonien) bedeutet für die
Kunst:
-
weitgehend einen Rückschritt von der handwerklichen und werkstattgemäßen,
zünftigen Produktionsweise zu einem Ein-Mann-Betrieb
-
einen Wandel in der Ausbildung von handwerklich-werkstattmäßiger
Lehre über die akademische Ausbildung bis hin zur Selbstbildung =
Dilettantismus
-
eine wachsende Kluft zwischen hoher (freier) und angewandter (Gebrauchs-)
Kunst
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technologische Entwicklungen:
Die großen technologischen Entwicklungen der frühen Industrialisierung
haben auf die bildende Kunst wenig Einfluß, am ehesten im Bereich
der Architektur, wo neben völlig neuen Bauaufgaben (z.B. Bahnhof)
neue technische Möglichkeiten durch Eisen- und Stahltragewerke möglich
werden. Im Bereich der Bildkünste gibt es allerdings einige technologische
Entwicklungen von Tragweite:
-
der Umgang mit Stahl schafft völlig neue Dimensionen auch im Bereich
traditioneller Bronze-Gußtechnik
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1795 meldet Conté den Bleistift zum Patent an (Graphit plus Ton
gebrannt in Holzschaft)
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die Erfindung des Ölpapiers und die damit geschaffene Möglichkeit
des schnellen Pausens von zeichnerischen Vorlagen in der Architektur wird
in Zusammenhang gebracht mit dem Historismus, der Elemente verschiedenster
historischer Stile kombiniert
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eine wachsende druckgrafische Verbreitung bildlicher Information führt
zu Entwicklungen in den reproduktiven Bildtechniken der Grafik (Illustration/Karikatur/Propaganda)
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die Lithografie erlaubt im Bereich der Bildproduktion ein wesentlich schnelleres
und künstlerisch beweglicheres Produzieren
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der Holzstich ermöglicht den Druck von Bild und Schrift in einem Durchgang
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die Fotografie revolutioniert das ganze Abbildungs- und Illustrationswesen
und klinkt es zunehmend aus dem Kompetenzbereich der bildenden Kunst aus
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die Petrochemie schafft eine völlig neue Basis für Farbstoffe
und Malfarben und nimmt die Kompetenz der Farbherstellung aus dem Malerhandwerk
heraus (Anilin)
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die Tubenfarbe stellt eine wesentliche Basis für die Entwicklung der
Freiluft-Malerei und des Impressionismus dar
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die Autotypie (Bildraster) ermöglicht die Anwendung fotografischer
Technik im Bereich drucktechnischer Bildreproduktion
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der Film tritt als zweites Massen-Bildmedium (nach der Fotografie) in Konkurrenz
zur bildenden Kunst, die damit endgültig vom Massengeschmack und vom
Dienst am großen Publikum entlassen wird
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die Kopierfräse erlaubt die maschinelle Reproduktion und Verkleinerung
von Plastiken und befriedigt damit einen bedeutenden Markt
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