Leistungskurs Kunsterziehung |
Goethe
in der Campagna
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, 1751-1829 1787 in Rom gemalt, Öl auf Leinwand, 164x206 cm, heute im Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt/Main Bildbetrachtung von Uli Schuster |
Landschaftsdarstellung
in der Romantik
Landschaft erobert
sich seit der Renaissance zunehmend einen Platz in der Malerei. Zunächst
als Schauplatz mythologischer Szenarien ( z.B. der Geburt Christi
), heldenhafter historischer Ereignisse, z.B. Schlachten, aber auch mit
der Absicht einer Schilderung heimatlichen, ländlichen Lebens.
In der klassizistischen Sicht eines Tischbein tritt eine geistige, ideelle
Beziehung zwischen Portrait und Landschaft in den Vordergrund. Bei Landschaften
von C.D. Friedrich und anderen Romantikern wird Landschaft zum Sinnbild
des menschlichen Daseins (Nerdinger S. 42), werden in der Beziehung
Mensch / Natur nicht geistig - ideelle Zusammenhänge inszeniert, sondern
"Entsprechungen von Gemütsstimmungen und Naturzuständen" (Nerdinger
S. 44) gesucht. Die Landschaft bleibt demnach ein Projektionsfeld für
innere Vorgänge der dargestellten Menschen, nur der Schwerpunkt verlagert
sich vom 'großen Geist' zum 'großen Gefühl'. Das kann
Sehnsucht, Fernweh, Trauer sein, aber auch ein Ergriffensein von der Großartigkeit
der Schöpfung (bei Koch) oder auch die hingebungsvolle Liebe zur Heimat,
zum Vaterland. Meist sind es die großen Gefühle, die
die Romantik bewegen, die auch in den Bildern mit übergroßer
Deutlichkeit zum Vortrag kommen und uns heute in ihrer Inbrunst und ihrem
Schwulst manchmal auch peinlich berühren. Das gilt vermutlich besonders
heute für eine Jugend, die sich dem Motto "cool sein" verschrieben
hat und beispielsweise in Schlagertexten den romantischen Schwulst lieber
in der fremden Sprache Englisch als in der eigenen singt und hört.
Dabei war die Romantik
auch eine Jugendbewegung und enthält Elemente des Aufbegehrens gegen
die etablierte und als kalt empfundene Welt der Alten. Den Studenten, ihren
Verbindungen, Burschenschaften, ihrem zwischen Jugend und Erwachsensein
schwankenden Lebensgefühl, ihrer vagantischen Lebensweise entspringen
viele der romantischen Ideen.
Diese introspektive Auffassung von Landschaftsmalerei entwickelt die Romantik weiter, z.B. Caspar David Friedrich. |
Es ist nicht anzunehmen, daß das Bild eine reale Situation zeigt, quasi ein frühes Beispiel touristischer Fotografie. Die Elemente der Landschaft, sanfte Hügel - weite Ebene, Architektur mit Teilen einer röm. Wasserleitung, einem Mausoleum, diverse Pflanzen, farbliche Stimmung, sind sicher der Realität der Campagna entnommen. Das gesamte Arrangement geht jedoch deutlich über Zufälligkeiten hinaus: Teile eines ägyptischen Obelisken, ein Relief mit griechischen Gestalten, Reste römischer Architektur zeigen die Basis, auf der die Gedanken Goethes, sein Weltbild ruht, stellen seine literarischen Überlegungen - man weiß, daß er gerade an der Iphigenie arbeitet - in einen Kontext mit vorgeschichtlichen Texten ( Hieroglyphen hatte Tischbein zunächst auf den Sitzstein gemalt ) und griechisch-antiker Tragödiendichtung ( Iphigenie ist ein Stoff des Griechen Euripides).Auf dem Reliefstein abgebildet ist eine Begegnung Mann-Frau, vermutlich Orest-Iphigenie. Der Bruder trifft auf die fern der Heimat in Verbannung lebende Schwester. Dies ist entfernt auch ein Gleichnis für Goethes eigene Situation als Reisender, "Tourist" im fremden Land. |
Warum
begibt sich jemand wie Goethe auf eine derartige Reise?
Es geht einerseits um Bildung, das kennt man heute noch: Reisen bildet. Andererseits sucht Goethe wie auch Tischbein und Generationen von Bildungsbürgern und Künstlern vor und nach ihnen an den historischen Schauplätzen die Inspiration für ihre Stoffe, das Gefühl für antikes Leben, den Geist der Antike, die in ihren Überresten durch den verstehenden Geist zu neuem Leben erweckt werden. Auch die Flucht vor einer unglücklichen Liebschaft erleichtert den Abschied von der Heimat.Goethe ist ein Reisender von besonderem Format und vielseitigem wissenschaftlichem Interesse, Biologie gehört dazu. |
Die Pflanzen im Bild sind schwer identifizierbar. Der leibhaftige, große Dichter und die literarische Tradition - dazu würde das Eichenblatt an seiner linken Schulter passen. Efeu überrankt Vergangenes - neues Leben auf altem Stein. Goethes Finger zeigt evtl. auf einen "Frauenmantel", eine Anspielung auf erotische Freuden mit dunkeläugigen Römerinnen, die ihn seinen Liebeskummer vergessen lassen? Unter seinem linken Fuß könnte ein Wegerich dargestellt sein. Letzteren legt man dem Wanderer in den Schuh gegen Entzündungen! Beides sind Heilpflanzen: Seelenheil und Fußschmerzen - das wäre eine humorvolle Anspielung seines Zimmergenossen in Rom und intimen Vertrauten, Tischbein. |
Sein
zeichnerischer
Malstil
arbeitet mit klarem Kontur (=Umriß) und modelliert die
plastischen Werte wie ein Bildhauer mit Licht und Schatten. Die farblich
einheitliche Hülle des weißen Mantels, die im Bild auffällig
mit der Farbe des marmornen Reliefsteins korrespondiert, verdeckt die modische
Kluft des Reisenden unter einem antikisierenden Faltenwurf, schließt
die Kontur und den gesamten Körper zu einem einzigen weißen
Block. Der Kopf erhält mit dem wieder frontal ausgerichteten Hut und
seiner breiten Krempe eine Art Nimbus(=Heiligenschein). Sogar der
Himmel klart um seinen Kopf herum auf zu einer lichten Aureole:
Eine wahrhafte Lichtgestalt, unser verehrter Dichterfürst!
Tischbein stellt Goethe überlebensgroß dar. Das kann man an der Bildbreite leicht ablesen, in die die gestreckte Figur sicherlich nicht passen würde. Allein eine solche Vergrößerung übersteigert das Bildnis ins Monumentale. Tischbein nähert sich mit den Mitteln der Portraitmalerei dem plastischen Denkmal an, macht einen lebenden Schriftsteller zum Objekt öffentlicher Verehrung. |
Buchquellen:
Nerdinger, "Vom Klassizismus zum Impressionismus", S. 21 ff Kamerlohr "Epochen der Kunst IV" S.89 |
http://www.forum-rom.de/goethe%20in%20italien/goethe%20in%20italien%20start.htm
Jürgen Mulzer hat sich die Arbeit gemacht Goethes Tagebuch der Italienreise und die Briefe aus dieser Zeit mit Bildern zu versehen. Alle Stationen lassen sich über die Eingangsseite auch direkt ansteuern. |