Seminar Gymnasialfach Kunsterziehung                               Fachgebiete der Kunsterziehung
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Formen der Bilderzählung 
Uli Schuster

Im Alter von zehn Jahren, wenn die Kinder von der Grundschule ins Gymnasium wechseln, haben insbesondere ihre zeichnerischen Äußerungen meist einen ausgeprägten erzählerischen Charakter. Vorstellungen, Erlebnisse, Erinnerungen, Träume, Ängste, Erfahrungen finden im Akt des Zeichnens, aber auch in seinem Produkt eine symbolische Form. Der Unterricht in der Deutschen Sprache und in der Kunsterziehung macht sich diese konstitutionelle Gegebenheit zunutze und formuliert Themen und Aufgabenstellungen so, daß die kindliche Sicht der Welt hier ihren adäquaten Ausdruck finden kann.

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Wie liest man eine kindliche Bilderzählung?
Soll Lesbarkeit ein Kriterium sein?
Wie unterscheidet sich eine wirre von einer strukturierten Bilderzählung?
Soll das erzählerische Vermögen ausgebildet werden oder ist es naturgegeben?

Richter („Die Kinderzeichnung“ 1987, S.94) unterscheidet nach Luquet zwei Modelle der Bilderzählung:

  • Der Zeichnende wählt aus dem Erzählzusammenhang ein Ereignis aus, das stellvertretend für den gesamten Vorgang dargestellt wird = repräsentative Bilderzählung.
  • Die Ereignisfolge bleibt auch kompositorisch erhalten = sucessive Bilderzählung.
Hier handelt es sich offenbar um Bildformen, Bildsorten, die Kinder quasi naturwüchsig benützen, für die es eine zwar individuell unterschiedliche, aber in der Regel vorhandene Motivation gibt. Der Kunstunterricht kann sich diese Motivation zunutze machen und in einer Aufgabenstellung dem Kind einen Anlaß für eine Bildgestaltung liefern. Aus den beiden Modellen lassen sich zwei Typen von Aufgaben formulieren.
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1. Die Repräsentative Bilderzählung
Für unser darstellerisches Problem scheint es einigermaßen unerheblich, ob der Inhalt einer Erzählung sich am realen Geschehen, an fiktionalen, phantastischen, märchenhaften Inhalten orientiert. Eine Geschichte, die der Schüler erlebt hat, dient als Aufhänger für ein Bild. Beispiel: „Das werde ich nie vergessen! Eine bleibende Erinnerung aus den Ferien“
Ziele: 
Darstellen einer repräsentativen Szenerie Herauslösen wesentlicher Elemente für die Szenerie wie Ort, Darsteller, Zeit, Requisiten...
Probleme: 
Der Beurteilungshintergrund für eine solche Aufgabenstellung wird diffus bleiben. Der Lehrer müßte sich alle Geschichten in der Klasse erzählen lassen, mit jedem Schüler die Details durchsprechen, um sagen zu können, welche Darstellungsprobleme der Schüler bewältigt hat. 
Der Lehrer könnte bei der Beurteilung auf allgemeine Kriterien zurückgreifen und z.B. die Erlebnistiefe am Detailreichtum und der Intensität und Eindringlichkeit der Schilderung able-sen. In diesem Fall wäre die Note jedoch keine Aussage über einen Lernerfolg. Der Lernerfolg muß jedoch nicht zwanghaft immer im Visier des Lehrers sein. Das freie Erzählen kann auch als Ziel für sich genommen werden. Im schlechtesten Fall lernt der Schüler dann seinen Darstellungsproblemen mit Geschick auszuweichen. Diese Gefahr muß man schon deswegen sehen, weil das Bild in den Augen des Kindes jederzeit durch Vorstellungen, Gesten, Worte erweitert, also auch verbessert, ergänzt, modifiziert wird. 

Variante:
Der Lehrer erzählt eine Geschichte, die so konstruiert ist, daß ein klarer Höhepunkt zu erkennen ist und die Szenerie am Klimax alle typischen Requisiten und dramaturgischen Elemente enthalten muß. Der Schüler muß dann eine Nacherzählung leisten. Die Elemente der Darstellung sind objektiv vorgegeben, könnten sogar an der Tafel aufgelistet werden. Die Auswahlentscheidungen des Schülers werden sichtbar, sein Interpretationsspielraum wird erfaßbar. Die Schüler könnten aufgefordert werden, an einem bestimmten Punkt die Erzählung weiterzuspinnen, Details hinzuzufügen.
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Wenn das Kind lernen soll, sich im Bild auszudrücken, dann muß die Lesbarkeit ein Kriterium sein. Das setzt auch der kindlichen Phantasie Grenzen! Das klingt rigide, ist aber logisch. Man sollte dabei nicht vergessen, daß es Entwicklungsunterschiede gibt, und beim jüngeren Kind das Bild eine offene Erzählform ist, die jederzeit durch Text, Gestik, Mimik, Tanz, Gebärde ergänzt werden kann. Auch das kann in eine Bewertung einfließen.
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2. Die Successive Bilderzählung
Eine vom Lehrer erzählte Geschichte dient als strukturelle Vorgabe für eine Bildkomposition.

Ziele:
Herauslösen der dramatischen Struktur = Handlungsfolge
Erfinden von kompositionellen Entsprechungen für die dramatische Struktur als Simultandarstellung oder als Bildfolge
Problem:
Die Geschichte muß eine bildhaft klare dramatische Struktur haben! 
Lehrerimpuls: Laßt uns die einzelnen Elemente (Ort, Personen, Requisiten) und Schritte, Glieder, Stationen, Stufen der Handlung (Zeit, Ereignis) einzeln aufzählen und auflisten. Schritte, Glieder, Stationen und Stufen sind bereits als Kompositionsprinzipien denkbar!
Die Handlungsfolge ließe sich evtl. als grafische Struktur an der Tafel darstellen.

Aufgabe: "Hans im Glück" ( 5./6. Jahrgangsstufe) 
Hans bekommt als Lohn für treue Dienste einen Klumpen Gold, tauscht ihn gegen ein Pferd, dieses gegen eine Kuh, die gegen ein Schwein etc. zuletzt bleibt ihm nichts.

Grafische Struktur: 
Anfang mit Hans und Meister
Hans mit Gold—> 
Gold wird schwer—>
Reiter kommt, Tausch Gold/Pferd—>
Pferd wird störrisch—> 
Bauer mit Kuh kommt, Tausch Pferd/Kuh etc....

Die Geschichte wurde als Gemeinschaftsarbeit organisiert, wobei jeweils drei Schüler für eine Episode zuständig waren. Ein gemeinsamer Maßstab für die Figuren wurde abgesprochen und die Figur des Hans war vom Aussehen her definiert.

Aufgabe "Kettenreaktion"(5./6. Jahrgangsstufe)
Frau Meier wohnt am Marktplatz im 1. Stock. Beim Beobachten der Leute stößt sie  einen Blumenstock vom Fensterbrett. Der fällt der Katze auf den Schwanz, die unterm Fenster steht. Die erschrickt, macht einen Satz und bringt den Karren des Obsthändlers aus der Balance. Der Karren fällt um, die Orangen rollen über den Marktplatz. Kinder kommen gerade aus der Schule...
An dieser Stelle ist klar, was eine Kettenreaktion ist, der Rest der Geschichte kann mit der Klasse auf Vorschlag einzelner Schüler erarbeitet werden. Alles passiert nahezu gleichzeitig und ist simultan in einem Bild darzustellen, die Handlung muß sich auch im Bild als Kette von Ereignissen darstellen
Unterrichtsverlauf:
Prinzip einer Ereigniskette erklären. Bildmuster der Kette als Tafelbild skizzieren lassen. Geschichte erzählen, Stationen festhalten, wiederholen lassen, Strukturvorschläge als Tafelbild skizzieren lassen, diskutieren, Bearbeitung jeder für sich, Nachbesprechung - Wertung.
Man muß sich überlegen, in welcher Reihenfolge das Kompositionsprinzip und die Erzählung im Unterricht zu bringen sind. Ich neige dazu die Geschichte erst zuletzt zu bringen, da von ihr die stärker motivierenden Impulse ausgehen.
Der Weg als Bildordnung
läßt sich in zahllose erzählende Aufgaben kleiden, ist auch in vielen Beispielen aus der bildenden Kunst ( z.B. Breughel, Heimkehr der Jäger,  Altdorfer, Alexanderschlacht ) oder der Trivialkunst ( Der gute und der schlechte Pfad,  Der Lauf der Dinge...) zu finden. Eine Bildbetrachtung könnte in vielen Fällen Ausgangspunkt einer Bilderzählung / Nacherzählung sein.
Nicht zuletzt erinnert der "Weg als Bildordnung" die Kinder an bekannte und beliebte Brettspiele, die sie auch selber modifizieren und neu erfinden können. Für eine derartige Aufgsabe bietet sich auch die Teamarbeit an, man kann Spielfiguren, Ereigniskarten dazu erfinden und falls die Schüler entsprechend motivierbar sind, auch buchbinderische Arbeiten integrieren (Aufziehen der Bilder auf Karton etc.)
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Das Bildfragment 
ist in verschiedenen Varianten denkbar. Die Klasse könnte eine Reihe von Gegenständen benennen, die im Bild vorkommen müssen und um die herum eine erzählerische Logik zu bilden wäre. Jeder Schüler sucht sich aus Zeitschriften eine beschränkte Anzahl von Bildelementen und baut darumherum eine die Elemente verknüpfende Bildlogik. Oder der Lehrer gibt den Schülern eine kopierte Sammlung von "Indizien", die in ein Bild einzuarbeiten sind. 
Das Erzählkonzept läßt sich neben der kompositorischen Ordnung auch an einem  bestimmten Inhaltsspektrum festmachen, das bei 10 - 13jährigen vom märchenhaften über das Komisch-Lustige bis hin zum Phantastischen, Fiktionalen reicht. Odysseen, Robinsohnaden, Tarzaneien, finden sich in aktualisierten Fassungen immer wieder in der Kinderliteratur.
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3. Bilderzählung und Bildserie
Die bisherigen Überlegungen galten der Kompositionsstruktur eines einzelnen Bildes. Dabei ist für längere Geschichten die Bildserie bis hin zum Comicbuch eine durchaus naheliegende Lösung. 
Beim Comic spricht nichts dagegen, daß ein oder mehrere Schüler hier ihre eigenen Geschichten erzählen. Ihre Aufgabe besteht dann in der dramaturgischen Aufbereitung der Erzählung, im Umsetzen der Handlung in Dialoge und Erzähltext sowie der Darstellung von Szenen, Einstellungen, handelnden Figuren und Aktion. Anders als beim ersten Beispiel zur repräsentativen Bilderzählung ist eine Bildergeschichte gut danach zu beurteilen, ob die Erzählung sich logisch und dramatisch entwickelt, ob die Szenen die Handlung schlüssig und repräsentativ darstellen.
Für die sequentielle Darstellung einer Erzählung, in der Text und Bild als verklammerte Einheit auftreten, gibt es eigene Formen, die Kinder im Alter von 10 Jahren meistens kennen, über die bei der eigenen Gestaltung jedoch nicht alle frei und souverän verfügen. Man muß sie den Kindern als Möglichkeiten und Repertoire gelegentlich erschließen und in Erinnerung bringen:
  • Die Leserichtung von li nach re und oben nach unten
  • Bildkasten und Bildausschnitt (filmisch: Einstellung) 
  • Textkasten für den Erzähltext
  • Sprech- Denk- Lautblasen für Dialog und Geräusch
  • Bewegungslinien, Bewegungsecho (fotografisch: Doppelbelichtung), Auflösung der Kontur (fotografisch: Unschärfe)
Wenn man den Schülern gezielt etwas beibringen will, muß man den Erzählrahmen beschneiden. Ein DinA3-Blatt läßt sich für kleine Bildgeschichten brauchbar und gut in zwei, vier, sechs gleich große Felder unterteilen. 

Beispiele für Themen: 
Vorher - Nachher
 

Das Rendezvous
Die Fliege
(Man könnte als Einstimmung dazu die Einleitungssequenz aus "Spiel mir das Lied von Tod" zeigen)
Metamorphose; (Auch hierzu gibt es im Bereich Film oder Musikclip viele Anregungen, falls den Kindern tatsächlich selbst nichts dazu einfallen sollte)

Auch in höheren Jahrgangsstufen kann man Bilderzählungen als Aufgaben stellen. Sehr anspruchsvoll ist die Aufgabe, eine banale Handlung - „Jemand kommt durch die Tür“ - in einem Storyboard für einen Film zu dramatisieren, also in Einstellungen, Dialoge, Handlungselemente aufzulösen. Hierzu scheinen mir im Vorfeld Filmanalysen sinnvoll, anhand von denen die Mittel der filmischen Bildregie erarbeitet werden. 

Zur Bildregie beim Film: Siehe auch unter Konzepte die Stundenentwürfe zur Filmanalyse, zu einem Musikclip von Genesis, zur Dramaturgie beim Film.

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4. Die Textillustration
Ein Sonderfall einer Bilderzählung ist die Illustration eines Textes. Im Gegensatz zur mündlich vorgetragenen Erzählung liegt hier eine Geschichte dem Schüler als ausformulierter Text vor. Derartige Aufgabenstellungen finden sich in letzter Zeit geradezu regelmäßig in Abituraufgaben.
Gegeben ist dabei jeweils ein Text, meist ein Gedicht. Es wird dabei ein Begriff von Illustration unterstellt, bei dem das Bild einen möglichst eigenständigen Charakter neben dem Text anstreben soll. Solche Aufgaben sind schwer zu beurteilen. Offensichtlich gibt es aber genügend Kollegen, die solche Bildanlässe mit ihren Schülern erfolgreich? einüben. Die Art der Gedichte (z.B. Dada) muten den Schülern eine Interpretationsleistung zu, die Germanisten im Unterricht  in der Regel verschämt aussparen.
Denkbar ist auch, daß der Text hier als Vorgabe im Sinn einer "Reizwortgeschichte" zu sehen ist, wobei der Impuls bei den Schülern nur schwer kontrollierbare Wirkungen hervorruft. "Lassen Sie sich anregen...!" Entsprechend führt so ein Impuls zu äußerst unterschiedlichen Resultaten, die schwer vergleichbar und beurteilbar sind.