Massivguss
„Der Körper als plastische Gestalt - ein Massivgussverfahren in der Erprobung“
Eine Unterrichtssequenz für die 11. Jahrgangsstufe im G8
von Eva Haubelt

Seminar 2008/106


Lehrplanbezug
Der Fachlehrplan Kunst für die 11. Jahrgangsstufe am G8 trägt im ersten Halbjahr die Überschrift "Körper". "In der bildnerischen Praxis erweitern sie" (die Schüler) "die Fähigkeiten zur Darstellung des menschlichen Körpers..." Wir verbinden das Modellieren eines Kopfes mit einer Reproduktionstechnik, formen kleine Tonbüsten und stellen mit Hilfe einer Negativform Abgüsse her. Dabei geht es mehr um das Prinzip der seriellen Herstellung als um ein sorgfältig und aufwändig geformtes Modell und Unikat.Durch das Erlernen des Gussverfahrens erweitern die Schüler „das methodische Grundrepertoire für systematische Erschließungen von Kunstwerken“. Die Schüler finden dabei auch Erklärungen für Spuren von plastischen Bearbeitungsprozessen, wie sie sich häufig an Werken von Rodin finden.

Das Modell
Zu Beginn modellieren die Schüler kleine Tonbüsten. Es empfiehlt sich, vorab über die Ausdruckskraft der menschlichen Mimik zu sprechen und den Schülern einige anregende Beispiele zu präsentieren. Daumiers kleine, bemalte Zeitgenossen wären dazu ein geeignetes Repertoire. Daumiers Realismus kann den Schülern auch vorgestellt werdeen als künstlerische Position des 19. Jh, die im 20. Jh mehrfach wieder aufgegriffen wird, von Künstlern wie Dix, Grosz, Bruno Paul, Eduard Thöny, Olaf Gulbransson, Karl Arnold...
Die Bozetti der Schüler sind Voraussetzung um die Vorgehensweise des Massivgussverfahrens praktisch zu erarbeiten. 

Die Gussform
Als motivierender Impuls dienen, vielleicht sogar der Jahreszeit entsprechend, hohle und massive Weihnachtsmänner, Osterhasen oder anderes süßes Anschauungsmaterial aus hohler sowie massiver Schokolade. An solchen Mustern lassen sich rasch die Unterschiede von Massiv- und Hohlgusstechnik besprechen. Hohlguss ohne Kern gibt es auch in der Keramik.
Hohl bedeutet:
  • Materialsparend
  • Gewichtsparend
  • mehr Größe bei gleichem Materialverbrauch
  • mehr Aufwand für die Form, wenn z.B. ein Kern herzustellen ist (flüssiges Metall kann man nicht wie Schokolade in der Form schwenken bis es erkaltet)


Anhand von Abbildungen wird der Klasse das Vorgehen des Massivgusses der modellierten Büsten in fünf Schritten veranschaulicht. Es empfiehlt sich die  Arbeitsschritte zur Herstellung eines Abgusses beispielsweise an der Tafel oder in einem Arbeitsblatt für die spätere praktische Ausführung festzuhalten.


Zwei-Platten-Technik Ablauf
Als Abformmasse für das Negativ verwenden wir Alginat. Alginat wird in der Zahntechnik verwendet und ist daher gesundheitlich absolut unbedenklich. Vielen Schülern ist diese Abformmasse vom Kieferorthopäden bekannt. Es ist relativ billig, zügig zu verarbeiten, ist elastisch und umeltfreundlich zu entsorgen. Ein leicht konisches Gefäß, etwa ein größerer Joghurtbecher, oder wie hier ein Glasgefäß erleichtert das Herausnehmen des gegossenen Blocks. Wer zusätzlich ein breites Geschenkband einlegt, bevor er das Alginat einfüllt, kann den Block nach dem Festwerden leicht herausheben. Alginat hat einen Nachteil: Es ist nur kurze Zeit formbeständig, trocknet schon innerhalb weniger Stunden unter Verlust von Masse. Die Negativform muss also unmittelbar weiterverarbeitet werden.
Alginat wird beim Film verwendet um möglichst hautfreundlich Masken herzustellen. Weil es eine elastische Formmasse darstellt, benötigt die Form einen festen Mantel. Bei der Abformung eines Kopfes ummantelt man die Alginatschicht etwa mit Gips, in unserem Fall liefert das Glasgefäß die erforderliche Stabilität, in die die Negativform nach dem Aufschneiden und Entfernen des Modells und vor dem Abguss wieder eingebracht wird.

Arbeitsmaterial:
Alginat, Gips, Wasser, Kopfmodelle, Abformgefäß, Becher und Gabel zum Anrühren, Lappen

Ablauf
1) Alginatpulver mit Wasser anrühren und in Formgefäß füllen 
2) Büste kopfüber langsam möglichst blasenfrei in Alginat tauchen
3) Alginatblock mit scharfem Messer in zwei Hälften schneiden und Modell entnehmen
4) hohle Negativform wieder ins Formgefäß einsetzen
5) Gips anrühren
6) Hohlform mit Gips ausgießen
7) Gipsabguss herauslösen 

Alginat ist ein äußerst präzises Abformmaterial. Wenn der Gipsabguss auch möglichst präzise sein soll, dann muss auch hier ein möglichst feinkörniges Material verwendet werden. Wer den Preis nicht scheut, der kann dieses Material auch im Bedarf für Zahntechniker finden. Alabastergips erfüllt ähnliche Voraussetzungen. Der Gigs wird nich wie vom Elektriker möglichst spachtelbar angeteigt, sonder noch gut flüssig in der Konsistenz gehalten. Auch hier ist beim Eingießen darauf zu achten, dass Luftblasen vermieden werden. Lufteinschlüsse bilden Fehlstellen, können aber leicht durch Auftragen von Gips nachträglich überformt werden, Luftblasen an der Oberfläche der Abgussmasse werden gleich mit einem Zahnstocher aufgestochen.
Für eine Lehrprobe habe ich das Verfahren so optimiert, dass die Schüler in 45 Minuten zur Negativform und einem Abguss kommen konnten. In einer Doppelstunde lassen sich also auch zwei Güsse von derselben Form herstellen. Die Schüler haben jeweils in Teams zu zweit gearbeitet. Zur Beschleunigung des Verfahrens haben wir ein schnell abbindendes Alginat verwendet und schon gleich nach dem Einbringen der Modellform den Gips angerührt. Trödeln darf man da nicht! Weil das Alginat durch den Verlust von Wasser schon innerhalb eines Tages an Formbeständigkeit verliert, lässt sich der Prozess nicht über mehrere Tage strecken.

Weiterführung
Die entstandenen Abgüsse werden überarbeitet und möglicherweise mittels Fotografie in Szene und unterschiedliche Zusammenhänge gesetzt. Der praktisch erfahrenen Massivgusstechnik kann die komplexere Hohlgusstechnik theoretisch gegenübergestellt werden. Diese Unterrichtssequenz kann mit einem Besuch in einer Gießerei vor Ort ihren Abschluss finden.


Was lernen wir daraus für die Kunst?
Im Anschluss an die eigene Erprobung wird mit dem erlangten Wissen über diese handwerkliche Technik die fachterminologische Einordnung an einem Gipsabguss von Auguste Rodin nachvollzogen. 
  • Plastik = dreidimensionales Kunstwerk, das durch eine aufbauende Technik entsteht, z.B. Ton-Modell, Gipsabguss
  • Skulptur = dreidimensionales Kunstwerk, das durch eine abtragende Technik entsteht, z.B. durch Aushauen aus einem Steinblock 
Rodin steht für den Begriff von Plastik als "Kunst im Zeitalter der Reproduzierbarkeit" (Walter Benjamin). Rodins Eva existiert in vielen unterschiedlichen Fassungen, die sich in der Größe, im Matrerial, in der Behandlung der Oberfläche unterscheiden und eine Haltung ("nach dem Sündenfall") eher leicht variieren. Heute ist wohl schwer zu sagen, welche Fassung ursprünglich ist und welchen Intentionen die anderen Fassungen folgen. Offenbar existieren sowohl von der Terrakotta-, als auch von der Gips- und der Marmorversion auch Bronzefassungen. So kommen die Freunde des klassizistisch glänzenden und polierten Frauenkörpers bei Rodin genauso auf ihre Rechnung, wie Freunde einer mehr expressionistischen, rauen Oberfläche, bei der der Körper noch spürbar der Hand des Modelleurs entsprungen ist. Letzteres ist eine für den Künster äußerst reizvolle Vorstellung, weil er sich damit in die Rolle des biblischen Gottes aus der Genesis begibt und damit den über Jahrhundere hinweg gepflegten Schöpfermythos des Künstlers erneuert und bekräftigt.

Eva, eine Frau mit vielen "Gesichtern"
Terracotta, München, Neue Pinakothek, erworben 1959 im Schweizer Kunsthandel, im Katalog mit Fragezeichen auf 1881 datiert, Höhe 72 cm
 
Gips, Museum Boijmans Van Beuningen, datiert auf 1881, war 1899 in Holland ausgestellt und ging daraufhin als Schenkung an das Museum, "lebensgroß" 
 
 
 
Bronze, Höhe 46 cm gegossen 1950, Kunsthandel, in der Oberfläche dem Marmor aus Moskauverwandt, in der Größe und dem Haarschopf aber nicht als unmittelbare Abformung zu erkennen

 

Bronze, im Frankfurter Staedel gibt es eine 1942 erworbene Bronzefassung von 1.92m Höhe, datiert auf 1881, die in der Oberfläche eher der Gipsversion aus Holland entspricht 
 
 
 
Marmor, Museum Puschkin Moskau, datiert 1981, 76 cm 
 
 
 
 
 

Spuren der Abformung
Speziell die Gipsfassung aus Holland trägt am Rücken eine deutliche Spur eines Abformprozesses, einen Grat, der immer dort entsteht, wo zwei Formteile aufeinandertreffen. Das konnten wir an den selbst gegossenen Büsten auch sehen. Bei komplexen Modellen, wie dem der Eva, muß die Negativform für den Guss in mehrere Teilformen zerlegt werden. Das funktioniert dann auch nicht mehr mit Alginat, sondern wiederum mit Gips.
Bis Rodin hat man derartige Spuren des Werkprozesses im "vollendeten Werk" nicht stehen lassen. Schon das nach dem Tonmodell abgeformte Gipsmodell diente dazu die Oberfläche möglichst zu glätten und von den Spuren des Modellierens und Abformens zu bereinigen. Rodin beschreitet hier neue Wege, wenn er in vielen seiner Abgüsse aber auch seiner Skulpturen Werkzeugspuren hinterlässt. An einem Kopf seiner Frau Rose Beuret von 1880 hat sich die "Stückung" der Form ganz deutlich erhalten. möglicherweise handelt es sich um eine Lebendabformung, darauf würden die geschlossenen Augen und die Größe (Höhe 19,9cm) sprechen.
Bei dem nur teilweise aus der Negativform ausgeschalten Kof rechts außen sieht man an der Negativform auch noch die runden Vertiefungen ("Schlösser"), mit denen ein Verrutschen der Teilformen gegeneinander verhindert wird.

 
Literatur: 

Birkhofer, Gerhard/Klant, Michael: Praxis Kunst - Plastik. Braunschweig, 1997
Fischer, Hanna: Metallwerkstatt – Metall eine Form geben. Buxtehude, 2008
Klant, Michael/Walch, Josef: Grundkurs Kunst 2 – Plastik Skulptur Objekt. Braunschweig, 2003
Meyer, André: Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken.
Stuttgart, 1990
Schöttle, Herbert: Workshop Kunst – Plastik/Architektur. Braunschweig, 2004 
Ceysson u.a., "Skulptur", Köln 1999

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