In
der Seitenansicht verliert sich die Symmetrie. Die Verschnürung der
beiden Leisten wird als Umklammern deutlich und man sieht, daß das
Objekt sich mehr in die Tiefe als in die Breite erstreckt. Das gibt der
Anordnung den Charakter eines Floßes. Wer da noch eine Kreuzigungsszene
assoziiert, besitzt ein robustes Gedächtnis, aber keine offene Wahrnehmung.
Was von vorne kaum wahrnehmbar ist: Über die Flaschen ragt wie eine
provisorische Angel ein krummer Draht. An seinem zur Schlaufe gebogenen
Ende hängt ein dünner Faden und daran eine Nadel wie eine Art
Senkblei. Was wird da ausgelotet, welche Erschütterungen sollen da
angezeigt werden? Sieht man die ganze Anordnung als eine Art Meßistrument,
dann wird eine Analogie zu einem anderen Objekt in diesem Raum augenfällig.
Die Angel korrespondiert mit den beiden
Balken, auf denen die Flaschen stehen, nicht etwa mittig und ausgewogen,
sondern an einem Ende, wie kurz vor dem Absprung. Wenn die Flaschen figürlich
zu sehen sind, wo ist dann ihre Vorderseite, wohin geht ihr Blick, ihr
Tritt? Während beide Flaschen frontal gesehen mehr und weniger nach
rechts geneigt sind, stehen sie aus dieser Ansicht so aufrecht wie Wachposten,
die nach Land Ausschau halten.
In der Profilansicht spricht viel deutlicher
als von vorne oder hinten die Verschnürung, Verbindung der beiden
senkrechten Leisten. Wer da wem Halt gibt, an wen gebunden, gefesselt ist,
das ist nicht klar zu sagen. Auffallend ist, daß viele Elemente zweimal
vorkommen: Zwei Sockelbretter gegeneinander verkreuzt, zwei
vertikale Leisten mit zwei Schnüren aneinander gebunden, zwei
Balkenstücke parallel gerichtet als Basen, Sprungbrett , Waagbalken
für zwei darauf verklebte Flaschen. Das Paar ist demnach
ein Leitmotiv. Der freie Stand der Flaschen ist nur scheinbar, jede
ist unverrückbar an ihre eigene Basis geklebt. Die Flaschen haben
keine gemeinsame Basis, erst die jeweiligen Balkenstücke sind mit
Massiven und groben Nägeln an die Sockelbretter geheftet. Die Seitenansicht
verändert den Charakter und die Bedeutung des Objekts ganz elementar.
Fazit: Hier liegt der simple aber erhebliche
Unterschied zwischen einem plastischen Gebilde und einer Malerei oder Grafik.
Die Profilansicht eines Gemäldes ist für eine Interpretation
in der Regel verzichtbar. Bei der Plastik könnte sie etwas offenbaren,
was aus einer anderen Ansicht nicht hervorgeht. Warum wohl wählt ein
Künstler die Plastik als Ausdrucksmittel? Wäre es bei einer Abituraufgabe
aus dem Bereich Plastik zu viel verlangt, zwei oder drei Ansichten zu liefern?
Wenn schon ein neuer Aufgabentypus kreiert werden soll, warum benützt
man dann eine völlig identische alte Struktur, Les-, Schreib- und
Denkart? |