Luitpold-Gymnasium München Leistungskurs Kunsterziehung |
Dreimal David:
Drei Standbilder aus drei Jahrhunderten im Vergleich von U. Schuster |
Die Geschichte steht im ersten Buch Samuel. Rund dreitausend Jahre liegt das Ereignis zurück. Philister und Israeliten stehen sich in Heerlagern gegenüber und bereiten sich auf die Schlacht vor. Da tritt Goliath aus den Reihen der Philister hervor, sechs Ellen und eine Spanne hoch, einen Helm aus Erz auf dem Kopf und einen Schuppenpanzer am Körper, der allein 5000 Sekel wog, eherne Schienen an den Beinen und einen ehernen Schild zwischen den Schultern. Er beschimpft die Israeliten als Sauls Knechte und schlägt vor, man möge die Schlacht doch im Zweikampf entscheiden. Innerhalb von vierzig Tagen findet sich unter Israels Kriegern keiner, der dem Philister im Zweikampf gegenübertreten wollte, der jeden Tag seine Rede wiederholt und seinen Hohn steigert. Eine hochpeinliche Situation. Der Hirtenknabe David (hebr. "der Geliebte") bringt den Ausweg. Um seine Brüder im Heerlager des Königs Saul mit Essen zu versorgen verläßt er seine Schafherde und wird Zeuge dieser demütigenden Situation. Er überredet König Saul ihn gegen den 'Unbeschnittenen' kämpfen zu lassen. Man will ihn in des Königs Rüstung stecken, aber die ist zu groß und eher eine Behinderung für den Knaben, also tritt er dem Riesen nur mit seinem Stock und fünf Steinen bewaffnet gegenüber. Wir wissen alle, wie das ungleiche Duell ausging: Ein Stein des David genügte. Mit der Schleuder auf die Stirn des Philisters geschleudert streckt dieser Treffer den Mann zu Boden und ohne Gnade trennt David dessen behelmtes Haupt mit einem Schwertstreich vom Rumpf. Dieser Sieg über die Feinde Israels verschafft dem Hirtenknaben David einen Platz in nächster Nähe des Königs, wo er ihm durch Gesang und später auch im Kampf dient. Nach Sauls Tod durch den Stamm Juda zum König gesalbt, wird er letztlich zum Reichsgründer und Helden des goldenen Zeitalters des Judentums. Für den republikanischen Geist der italienischen Stadtstaaten wird David zur Symbolfigur für den Aufstieg des tapferen Mannes aus dem Volk, der durch die soldatische Heldentat zum Führer bestimmt und legitimiert ist. Ein 'italienischer Traum' der Renaissance. |
Erster Eindruck und Beschreibung |
![]() ![]() ![]() |
links
außen
David von Donatello, 1432 Florenz, Bronze 1,58m Mitte
rechts
|
Drei Künstler äußern sich in einer Zeitspanne von 200 Jahren zur selben Figur, dem biblischen König David, den das Mittelalter gern als alten Mann mit langem Bart darstellt. Nichts vom alten Mann und ehrwürdigen König ist in diesen drei Figuren; sie erfassen wohl eher ein Alter zwischen siebzehn und achtundzwanzig. Der historisch älteste scheint mir der Jüngste, eher ein Bürscherl. Als Donatello ihn schuf, war er bereits ein Mann in den besten Jahren (49) und es war nicht sein erster David. Bereits 1408, mit 25 Jahren fertigte er für den Dom eine Marmorfigur eines bekleideten David von 191 cm Höhe, ebenfalls mit dem Haupt des Goliath zu seinen Füßen. Diese Figur wurde bereits wenige Jahre später im Palazzo Vecchio (Rathaus) aufgestellt als Symbol einer Republik, die sich gegen mächtige Feinde (Mailand, Neapel, Venedig) zu behaupten hatte. Michelangelo war 26 Jahre alt, als er seinen David begann, und er konnte bereits auf drei bedeutende Vorbilder zurückgreifen, die beiden Figuren Donatellos sowie eine Bronze von Verrocchio. |
![]() Der Moment, der von den Künstlern für ihre Darstellung gewählt wurde, macht einen wesentlichen Unterschied. Bei Donatello ist schon alles gelaufen, der Kopf des Riesen liegt abgetrennt zu Füßen der Figur, die eher abschätzig auf diesen "Unbeschnittenen" herabschaut. Bei Bernini hat er noch alles vor sich, den für uns unsichtbaren Feind im Visier, seine Harfe und die zu große Rüstung zu seinen Füßen. Bei Michelangelo ist der Zeitpunkt am wenigsten eindeutig. Das kann vom Blick her wohl ein Peilen nach dem Gegner sein, von der Haltung aber ist es schon die entspannte Pose des Siegers. Wem aber gilt dann sein prüfender Blick? Alle drei kann man als nackt bezeichnen, aber der Umgang mit der Nacktheit ist doch verschieden. Am 'nacktesten' kommt mir Michelangelos Monumentale Figur vor. Donatellos Jüngling erscheint mir eher 'ausgezogen' mit seinem Hut und dem Beinschutz - der Beschnittene zeigt dem Unbeschnittenen wie man Köpfe abschneidet. Bernini schließlich bedeckt die Blöße des künftigen Königs elegant mit einer wehenden Schärpe. Obwohl uns die Reproduktion jeweils die Front zeigt, scheinen alle Figuren so konzipiert, daß man sie umrunden kann. Bei Bernini hat der Fotograf den Hintergrund im Museum durch einen Vorhang zugedeckt, bei Donatello ist der Ort durch Retusche völlig ins Dunkel gelegt, nur bei Michelangelo ist der Rundbau zu erkennen, den man dem Original zuliebe in der Academie geschaffen hat, als man den Koloß 1873 vor dem Rathaus durch eine Kopie ersetzte. |
Blickführung
der Fotografie
Bei der Analyse von Plastik sind wir in der Regel auf fotografische Reproduktionen angewiesen und auf die Ansicht, die uns der Fotograf zur Verfügung stellt. Bei Donatello scheint sich die Kamera etwa auf der Höhe der Oberkante des Sockels zu befinden. Michelangelos Figur scheint etwa aus Kniehöhe gesehen und bei Bernini befindet sich die Kamera etwa auf der Höhe des Bauchnabels. Diese verschiedenen Sichthöhen monumentalisieren die kleinste Figur am stärksten. Blickführung des Bildhauers Was wir hier nicht sehen: Alle drei Figuren stehen nicht einfach auf dem Boden, sondern auf einer Plinthe und diese wiederum auf einem Sockel. Damit erreicht Michelangelo eine totale Höhe von 5,48m, sodaß ein normal großer Italiener die Figur etwa aus der Höhe der Fesseln zu sehen bekommt. Bei den anderen Figuren fehlen mir dazu die Angaben, aber es kann ja nicht unbedeutend sein, ob uns Donatello bei seiner Figur auch die Augenpartie sehen läßt, oder ob diese unter der Hutkrempe verschwindet. Zu Michelangelos David jedenfalls muß man spürbar aufschauen, wenn man in der Academie davor steht. Auf dem Rathausplatz steht die Figur nicht nur auf ihrem Sockel sondern zusätzlich am oberen Absatz einer Treppe. So kann man weit zurücktreten, und die Halswirbel bleiben trotz gesteigerter Höhe verschont. Ungewiss bleibt, ob Michelangelo den Platz vor dem Rathaus im Auge hatte, denn zeitenössischen Berichten zufolge suchte erst eine Komission, der u.a. Leonardo da Vinci und Botticelli angehörten, nach einem würdigen und repräsentativen Ort für die Aufstellung der Figur. Im Dom wäre er vermutlich weit über den Köpfen des Volks plaziert gewesen und hätte überhaupt nur aus größerer Entfernung betrachtet werden können. Hat dies etwas zu tun mit der oben festgestellten ungewöhnlichen Proportionierung des Körpers? |
Proportionen
Bei Michelangelos Figur hatte ich schon immer den Eindruck kurz geratenener Beine, eines übergroßen Kopfs und einer riesigen Hand. Auch wenn das an der Reproduktion nicht genau zu überprüfen ist, so kann man doch mit einiger Sicherheit behaupten, daß Michelangelo von der Vitruv'schen Regel abgewichen ist, nach der die Beine bis zum Schritt die halbe Körperhöhe ausmachen. Genau besehen finde ich auch den Hals gewaltig lang. |
![]() ![]() ![]() |
Darüber läßt sich aber vermutlich streiten. Mit einiger Sicherheit hat Michelangelo seinen Vitruv gekannt, der ja von Alberti gerade wieder zum Leben erweckt worden war. Warum aber hat er sich nicht an ihn gehalten? Mal ehrlich: welches ist das Original? Oder spielt das für unsere Einschätzung einer gelungenen Figur keine Rolle? Im Zusammenhang mit solchen Beurteilungen scheint mir eine von Vasari überlieferte Anekdote hilfreich. Piero Soderini, Gonfaloniere der Stadt Florenz machte gegenüber Michelangelo neben einigen lobenden Bemerkungen die Äußerung "die Nase der Figur scheine ihm zu dick", und er weiß zu berichten, Michelangelo "nahm schnell einen Meissel in die linke Hand und von den Brettern des Gerüsts ein wenig Marmorstaub und fing sodann an, den Meissel leise zu rühren, und ließ dabei den Staub nach und nach niederfallen, ohne an der Nase irgend etwas zu verändern."..."So gefällt sie mir besser. Ihr habt ihr das Leben gegeben!" soll der Sachverständige daraufhin bemerkt haben. Man setzt sich leicht dem Spott von Jahrhunderten aus, wenn man einem Meister wie Michelangelo Verbesserungsvorschläge macht. |
Nebenstehende Abbildungen zeigen in Marmor
Donatellos Frühwerk (191cm) und Verrocchios recht jugendliche Bronze
(126cm), die in der Pose und Größe an Donatellos "Bürscherl"
anknüpft und in der Darstellung der "Reizwäsche" mit Donatellos
Marmor Verwandtschaft hat. Ganz rechts außen ein in Ton modellierter
Entwurf = Bozzetto (54cm), vielleicht eine von mehreren Vorarbeiten Michelangelos.
Vasari berichtet von einem Wachsmodell, und es ist auch bekannt, daß
der Stein, der ihm vom Dombaumeister zur Verfügung gestellt wurde
bereits bearbeitet war und zwischen den Beinen der "verdorbenen" Figur
sei bereits "ein Loch durchgehauen" gewesen.
Michelangelo muß also sehr präzise Vorarbeiten und Messungen durchgeführt haben, bevor er ans Werk gehen konnte. |
![]() ![]() ![]() |
![]() Das Intime und Private ist ebenso wie die triumphale Pose des Siegers aus der Vorstellung entwichen, die sich nun den Augen einer bürgerlichen Öffentlichkeit präsentiert, die noch sechs Jahre zuvor unter Savonarola öffentlich dem antikisierenden 'Heidentum' der Humaniusten durch Verbrennung ihrer Werke und Kunst abgeschworen hatte. Daß dies immer noch gewagt war zeigt der Bericht, nach dem die Statue während ihres fünf Tage dauernden Transports vom Dom (für den sie nun wirklich kaum geeignet war) zum Rathausplatz von den Leuten mit Steinen beworfen wurde. Letztlich mußte das Geschlechtsteil hinter einem vergoldeten Feigenblatt versteckt werden. Es gibt Stimmen, die einen Gegensatz behaupten zwischen den politischen Interessen der Medici und der Person Michelangelo. Ich nehme nicht an, daß Michelangelo, wie z.B. Botticelli ein bekennender Anhänger des Bußpredigers Savonarola war und seine theokratische Facette von Volksherrschaft und seinen bis zur öffentlichen Verbrennung von Literatur und Kunstwerken gesteigerten Fanatismus befürwortete. Seine Arbeiten in Rom und später in Florenz für die Medici belegen mir eher das Gegenteil. Aber man kann es auch so sehen, daß der David vor der Signoria, dem Rat der Stadt und grundsätzlich jeder staatlichen Gewalt eine Warnung ist, sich stets bewußt zu sein, daß gelegentlich der Stein eines Furchtlosen genügt um einen Kampf zu entscheiden, ja um ein Gewaltregime zu beseitigen. Vasari meint dazu: "Dies sollte andeuten, daß auch die, welche über die Stadt gebieten, sie mutig verteidigen und mit Gerechtigkeit führen müßten, wie jener sein Volk verteidigt und gerecht geführt habe." In jedem Fall kann die Figur des kampfbereiten, wachsamen David zu Michelangelos Zeit bereits auf die etablierte Vorstellung vom siegreichen David aufbauen, was ihren Bedeutungsumfang erweitert. Henning Klüver berichtet in der Süddeutschen
Zeitung Nr. 290/vom 16.12.2002: (ganzer Text)
|
![]() Darüber hinaus schrumpft er auch wieder in der Größe auf ein Maß, das dem Leben vergleichbar wird. Bernini interessiert sich ebenso wie Michelangelo nicht für Goliath, der kommt, wenn überhaupt nur indirekt vor, als möglicher angepeilter Feind. Umso mehr Interesse gilt dem inneren Kampf, den seelischen Vorgängen, der geistigen wie körperlichen Anspannung, die uns die Figur vermittelt. Berninis Botschaft ist meiner Meinung nach genau hier zu suchen: Letztlich ist jeder Kampf zuerst ein Kampf mit sich selbst. |
Literatur - Quellen
http://www.thais.it/scultura/fgda.htm Seite der Galleria dell‘Accademia Firenze, mit Abbildungen des David und der Sklaven http://www.thais.it/scultura/rinascim.htm
http://www.graphics.stanford.edu/projects/mich/
www.bluffton.edu/~sullivanm/index/index.html
Adresse unbekannt verzogen
|