Video
Processing/Compositing
von Uli Schuster (April 2003) |
Als ich 1994 für einen Fortbildungslehrgang in Dillingen einen Aufsatz mit dem Titel 'Videoprocessing' schrieb, fand ich für den abzuhandelnden Gegenstand keine bessere Bezeichnung als "Processing", einen Ausdruck, der damals von der fotografischen Dunkelkammerarbeit abgeleitet wurde. inzwischen hat sich in Publikationen zum Thema (z.B. der Hochglanzzeitschrift "didital production" und in den entsprechenden Computerprogrammen, z.B. "After Effects" von Adobe der Terminus "Compositing" etabliert. Adobe übersetzt das sogar ins Deutsche und spricht von "Kompositionen". Da der Begriff Komposition in der bildenden Kunst und insbesondere in der Malerei in unserem Sprachraum belegt ist bleibe ich lieber bei den englischen Bezeichnungen "Compositing" bzw. bei "Processing", einem Ausdruck, den ich der fotografischen Dunkelkammerarbeit entlehnt habe. In der fachdidaktischen Literatur spielt die Materie meines Wissens bislang keine Bedeutung. Allein im Bereich der "digitalen Bildbearbeitung" sind mittlerweile nennenswerte Ansätze zu registrieren, allerdings mit der Beschränkung auf das statische, unbewegte Bild. |
Die Möglichkeit der elektronischen
und digitalen Bearbeitung von Video-Bildmaterial - das Video Processing
- wurde in den 90er Jahren dem Amateurbereich zugänglich gemacht durch
erschwingliche Geräte, die auch von Schülern leicht zu beherrschen
sind. Computer, Videomischer, Genlock, Digitizer, Programme zur Bearbeitung
von statischen und bewegten Bildern wie Photoshop und After Effects
(Adobe) geben dem Videofilmer eine breite Palette von Effekten oft einfach
per Knopfdruck an die Hand, die auch einem langweiligen Unterrichtsvideo
einen Hauch von MTV verleihen und schwache Videobilder optisch in einer
Weise parfümieren können, daß positive Publikumsreaktionen
garantiert sind. Ein Unterricht, der mit diesen Effekten umgehen möchte,
muß sich deshalb schon der Frage stellen, was mit derartigem Processing
erreicht werden soll außer "Effektvideografie", oder anders
gesagt, welche Wirkung die Effekte auf unsere Wahrnehmung haben.
Foto, TV und Video haben in den Augen von Schülerinnen und Schülern immer noch höchsten Realitätswert und damit Wahrheitsgehalt, sie gelten als objektiv. Dies ist vermutlich deshalb so, weil das sichtbare Bild gleichsam Resultat eines interesselosen technischen Apparats ist, und weil es in vielen Merkmalen der Wahrnehmung durch unsere Augen entspricht. Eine Vielzahl technischer Tricks ist denn auch aus dem Interesse heraus entstanden, diesen Illusionismus möglichst ungebrochen aufrechtzuerhalten. Der Unterschied zwischen der vorgestellten, illusionistischen Wirklichkeit von Videobildern und der Realität, die uns umgibt, ist für den Intellekt leicht einzusehen. Wenn wir Bilder, diesen Abzug von Realität, jedoch zur Orientierung in unserer Lebenswelt verwenden, reflektieren wir nicht, daß Orientierung nur als Vorstellung Wert hat und im Vorstellungswert auch vielfältige Möglichkeiten der Desorientierung liegen. Effekte wollen, ganz im Gegensatz zu Tricks, wahrgenommen werden. Ähnlich wie bei der Copy Art handelt es sich bei den Videoeffekten im technischen Sinn um Bildstörungen. Videoeffekte stellen uns das Bild vor Augen als das, was es ist: Eine Ansammlung von farbigen Lichtpunkten, von Zeilen, Tonflächen, die sich bewegen und ihre Form fließend verändern. Effekte sind wie technisch schlechte Bilder gleichermaßen geeignet, den bildlichen Illusionismus von Foto und Video aufzubrechen. Man sieht ihnen ihre Künstlichkeit, Manipuliertheit in einer so klaren Weise an, daß sie von vielen Betrachtern ganz selbstverständlich als "künstlerisch" taxiert werden. Effekte brechen den bildlichen Illusionismus insbesondere dann, wenn sie nicht für sich alleine stehen, sondern wenn der Vorgang des Hinübergleitens vom Realbild ins verfremdete Bild vor Augen geführt wird. Das aber ist mit dem bewegten Videobild einfacher zu machen als mit anderen grafischen Medien. In den Augen dessen, der vom Bild Orientierung in der Realität erwartet, muß der verfremdende Effekt zwangsläufig als billige und auf Emotionalisierung gerichtete Manipulation erscheinen, die die Realität verdeckt. In der Tat heben Videoeffekte die filmische Illusion auf und setzen an die Stelle einer ausschnitthaften, imaginären Realität eine abstrakte Sinnlichkeit: Erlebniswelt an Stelle von Lebenswelt. Videoeffekte, insbesondere im Verbund mit dem harten Sound von Rockmusik, simulieren Zustände sinnlicher Überreizung. An die Stelle sensibler Wahrnehmung einer vorgestellten Wirklichkeit tritt auf seiten des wahrnehmenden Subjekts eine Überflutung von Auge und Ohr bis hin zu einer Blockade, einer Betäubung = Anästhesie der Sinne, auf der Seite des wahrgenommenen Objekts eine Auflösung in seine Elementarstruktur aus Farbe, Helligkeit, Form. Vor dem Hintergrund der hohen Akzeptanz der mit allen Effekten hergestellten Videoclips bei den Jugendlichen und der Möglichkeit, diese Effekte mit nicht zu teuren Geräten im Unterricht selbst zu generieren und damit ein Stück durchschaubar zu machen, stellen wir an unserer Schule, einem math.nat. Gymnasium, seit Anfang der 90er Jahre z.T. im Unterricht, vor allem aber in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften Videoclips her. Das Ausloten der technischen Möglichkeiten ist stets ein Experiment. Einige der dabei angewendeten Effekte werden im folgenden beschrieben. Sie wurden bis gegen Ende der 90er Jahre entweder im Videomischer erzeugt durch Regelung der analogen Signale oder unter Ausnutzung des im Mischer enthaltenen digitalen Bildspeichers, oder sie werden heute im Computer generiert über die Bearbeitung der digitalen Bildsignale mit Hilfe spezieller Software (Filter), die entweder in Videoschnittprogrammen enthalten sind, oder etwa seit Ende der 90er Jahre in eigenen Programmen gebündelt wurden, z.B. in After Effects von Adobe. |
Mix
Wipe
Der
elektronische Videoschnitt kennt neben Edit und Mix auch das Wiping. Elektronisches
Wiping geht hervor aus der Möglichkeit der Bildschirmteilung. Wischblenden
und Bildteilung sind auch vom Film bekannt. Bildteilung kennt man z.B.
aus dem Film "Bettgeflüster" (Pillow Talk, 1959), in dem Doris Day
und Rock Hudson, beide in ihrem eigenen Bett liegend, durch Wände
getrennt, aber über Telefon miteinander verbunden, streiten. Pikanterweise
tun sie das jedoch auf der geteilten Leinwand unmittelbar nebeneinander,
wie in einem Bett liegend.
Wipe setzt an die Schnittstelle zweier Einstellungen eine Bildteilung, nicht unbedingt statisch, wie bei Bettgeflüster, sondern auch dynamisch, als einen eigenständigen Bewegungsvorgang. Die Handbewegung am Regler des Videomischers entspricht exakt der Bewegung, mit der das neue Bild über das alte gezogen wird. Das Bild ist ein Vorhang, der ein anderes Bild verdeckt. Das Videobild erhält durch die Bewegung des Wiping die Materialität eines bedruckten Blattes. Die vorgegebenen Bewegungsmuster für diese Form des Bildwechsels sind so vielseitig, daß es mühsam wäre, sie alle aufzuzählen. Horizontal/vertikal/diagonal, einfach/mehrfach, von links/von rechts/aus der Bildmitte - 99 Wischmuster sind garantiert. Wozu braucht man sie? Die Geste des Wiping etabliert ein Bild auf eine einfache Art und Weise, indem es ein anderes Bild verdeckt und sich im Austausch an seine Stelle setzt. Bilder, die so eingeführt sind, möchte man auch gern wieder so durch andere ausgetauscht sehen. Wiping setzt den bewegten Bildern eine starke Eigenbewegung entgegen und wirkt damit unauffälliger bei wenig bewegten Bildern oder Stand- bzw. Stillbildern. Wiping lebt vom Kontrast der Bilder. Bei zwei gleichen oder sehr ähnlichen Bildern wirkt der Effekt nur wie eine laufende Zeile. Bei sehr verschiedenen Bildern macht das Schieben neugierig: gierig nach Neuem, man wartet schon aufs nächste Bild. Das schnelle Blättern in total verschiedenen Bildwelten erhält einen besonderen Reiz, wenn ein Schuß erotisierende Spannung und ein wenig dramaturgische Unterforderung, sprich Langeweile, mit im Spiel ist. Insofern befriedigt Wiping ein ähnliches Bedürfnis der Wahrnehmung wie das Channel-Zapping mit der Fernbedienung. Die Bildschirmteilung und das Wiping machen aus der Flut und Verwebung verschiedenartigster Bilder und Handlungszusammenhängen endgültig ein den Inhalten gegenüber nahezu gleichgültiges Webmuster, das dennoch seine Wirkung auf unsere Wahrnehmung nicht verfehlt:
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Mosaik
Paint
Freeze, Still
Computertricks: Morphing
Genlocking und Blueboxing
Texturemapping
Erstellt
man mittels eines Raytracing-Programms dreidimensionale Objektsimulationen,
dann bestehen diese immer aus zwei weitgehend unabhängigen Schichten,
einem Vektormodell und einer Textur. Texturemapping bedeutet, daß
sich vektoriell berechnete Objekte auch als Animationen mit beliebigen
Oberflächen versehen lassen, so wie sich bei einem Textverarbeitungsprogramm
ein einmal eingegebener Text in verschiedenen Schriftarten darstellen läßt.
Tricktechnisch schafft dies ungeheure Möglichkeiten der Verfremdung
von Oberflächen, wie man das aus der Malerei der Surrealisten kennt.
Wegen der zeitlich aufwendigen Rechenarbeit haben wir solche Tricks bisher
weitgehend vermieden.
Der Film Katharsis spielt nahezu komplett in einer animierten Kulisse. Der Ausschnitt zeigt eine Verfolgungsjagd in einem Raumschiff, das in einem 3-D-Programm entworfen und mit unterschiedlichen Texturen versehen wurde. Die Schüler wurden im Zeichensaal vor einer mit blauem Tuch bespannten Wand aufgenommen und der blaue Hintergrund später aus dem Video herausgerechnet. Für die Regie ist das ein kleines Problem: Schließlich sollen beide Aufnahmen später übereinandergelegt werden und müssen dann von der Beleuchtung und der Raumlage übereinstimmen. Zur Videoarbeit mit Bluescreen gibt es im KUSEM eine eigene Seite: Videobeispiel "Katharsis", 1998 3 MB DIVX klick ins Bild! In einem interessanten Aufsatz über den "Anfang einer neuen historischen Form des Filmischen" schreibt Siegfried Zielinski über diese Methode der Simulation:
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Literatur:
Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken,
Stuttgart 1991
Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit, Frankfurt 1970 Hans Beller, Handbuch der Filmmontage,
München, 1993, darin die Beiträge von
Georg Haberl / Gottfried Schlemmer, Die Magie des Rechtecks, darin der Beitrag von Siegfried Zielinski, Nicht mehr Kino, nicht mehr Fernsehen Auf der Internetseite von Benjamin Happl
finde ich leider ohne Autorenangabe einen sehr ausführlichen Text
"Der Morphingeffekt unter besonderer Berücksichtigung von TERMINATOR
2 und BLACK OR WHITE"
Im KUSEM gibt es eine eigene Seite über "Bluescreen und Animation in der Videoarbeit" Alle hier verwendeten Schülerfilme sind beschrieben im KUSEM "Arbeitsgemeinschaft Video&Computer" |