Luitpold-Gymnasium München                                                             Leistungskurs Kunsterziehung
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Regen, Dampf und Geschwindigkeit
-Die große westliche Eisenbahn-
Joseph Mallord William Turner (1775-1851)
1844, Größe 98 x 122cm, Öl auf Leinwand,
London, The National Gallery

von M.L.Kronemann, Jahrgangsstufe 12

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Eindruck
" Hin- und hergerissen zwischen der traditionellen Malerei und neuen Möglichkeiten des Ausdrucks setzt William Turner einen Stein auf dem Weg zur Moderne. Seine Landschaften zeigen den Willen zum Neuen, aber auch die Verbundenheit zum Bestehenden."
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Beschreibung
Das Bild zeigt zwei über das Meer (?) führende Brücken, auf der rechten kommt dem Betrachter eine fauchende Dampflok entgegen. Auf dem Wasser sieht man ein kleines Boot schaukeln; die obere Bildhälfte ist größtenteils von Himmel ausgefüllt. Turner stellt auch hier seine Lieblingsmotive dar: Wasser, Wolken, und Dampf. Das Gemälde, eines der berühmtesten Werke des Malers, zeigt den Zug in einem Flimmern von Lichtern. Die Brücke wird von in die Bildtiefe führenden Brüstungen begrenzt. Etwas weiter vorne und unterhalb der Lokomotive erkennt man einen großen Bogen, der in der Helligkeit der Gelbtöne den Widerschein des Wassers erahnen läßt. Auf der linken Seite des Bildes erscheinen in der Ferne vier Bögen einer zweiten Brücke, die sich zart in der gelblichen und hellblauen Wasseroberfläche spiegeln. Der Künstler verwendet v.a. die Farben Blau und Gelb, und zwar in den Tönen blaß-blaugrau und Gold. Letzteres verleiht dem Bild eine warme, sonnige Ausstrahlung wie an einem milden Abend im Spätsommer/Frühherbst. Hart dagegen wirkt das unbarmherzige Schwarz-Rot der heranstürmenden Lokomotive, welches keine milde Wärme, sondern aggressive Hitze ausstrahlt. Ihre ungestüme Kraft bricht die Ruhe des Bildes.

Die Ordnung der Bildfläche
Turners Bild wird grob durch die Diagonalen der beiden Brücken sowie durch den Horizont gegliedert, welcher sich fast genau in der Bildmitte befindet. Das Licht scheint über dem Horizont einen großen Bogen zu beschreiben, obwohl nicht klar ist, ob dieser den Ort der Sonne markiert. Zwei rechtwinklige Achsen in horizontaler und vertikaler Richtung teilen die Komposition in vier Teile Himmel/Erde, links/rechts. Das einheitliche goldene Licht läßt oben und unten verschmelzen, perspektivische Tiefenwirkungen und verfließende Farben gleichen die linke und rechte Bildhälfte einander an. 
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Bildraum
Im rechten unteren Viertel dominieren die dunklen Töne, das linke untere Viertel hingegen beherrscht das Zusammenspiel der hellen Farben. In beiden Vierteln führen perspektivische Linien das Auge des Betrachters in die Tiefe, zum Licht im Zentrum, in dem sich alles entmaterialisiert. Die perspektivische Wirkung, zum Großteil der Intuition des Betrachters überlassen, erzeugen die Brücke und der Zug. Die Eisenbahn hat nicht den Zweck, einen realen Raum zu definieren, sondern führt in eine "unendliche, geistige Weite".
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Farbe
Die malerische Wirkung und die Lichteffekte entstehen durch den Gebrauch der Ölfarbe in Aquarellmalweise. Turner bediente sich einer lasierenden Technik und erreicht auf diese Weise die Leuchtkraft der Gelbtöne und die Transparenzwirkungen der Wasserpartien. Durch die Lasuren verwischt er den Hintergrund, indem er beispielsweise beim Himmel Übergänge von intensivem zu zartem Hellblau, über abgetöntes Gelb zu Weiß schafft. Mit dieser Technik verhindert Turner den Effekt der Farbfelder; denn jedes Teilstück des Bildes besteht nicht aus einer Farbe, sondern verwandelt sich unmerklich von einer in die andere, ohne daß es möglich wäre, den Punkt zu sehen, an dem eine Farbfläche endet und eine andere beginnt. Auf diese Weise nahm der Künstler Errungenschaften der Impressionisten vorweg, während der Diskurs über die Auflösung und Wiederherstellung von Farbe und Licht, den bereits die venetianischen und französischen Maler des 18.Jahrhunderts führten, sich fortsetzte und weiterentwickelte. In der linken Bildhälfte führen die Bögen einer weiteren Brücke ins Licht. Die zarten Farben und die weiche Pinselführung lassen die Vision ruhig erscheinen. Auf dem sanften Wellengang des Wassers, das mit weichen und warmen Goldtönen und verwaschenem Blaugrau wiedergegeben ist, sieht man ein Boot, fern vom Wirbel des Lichts und von der Unruhe, die die Durchfahrt des Zuges auslöst. Bezüglich der Behandlung der Landschaft gibt es zwischen links und rechts keinen Unterschied.  Die linke Seite des Bildes ist jedoch von der trägen, langsamen Bewegung von Boot und Wellen geprägt, während die rechte vor allem von der Geschwindigkeit des durchfahrenden Zugs beherrscht wird, aber auch von der seinerseits ausgelösten Bewegung der Luft.
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Die Freiheiten, die der Maler sich bei der formalen Komposition nahm, lassen sich anhand der Lokomotive, die sich mit ihren Waggons dem Bildvordergrund nähert, gut veranschaulichen: In der sie umgebenden Atmosphäre und den leuchtenden Punkten, die sie übersäen, entmaterialisiert Turner den Zug gleichsam - ohne die realitätsgetreue Form jedoch aufzulösen. Die Brücke, durch Brauntöne definiert, scheint von Lichtströmen durchzogen zu sein.

Literatur: Kammerlohr, Epochen der Kunst;Kindler´s Malereilexikon;Nerdinger, Elemente künstlerischer Gestaltung.