Kritik von Ulrich Schuster, Luitpoldgymnasium München, an den Thesen von Freiberg
Im Text von Henning Freiberg auf der Homepage der LAG Neue Medien sehe ich drei Ziele
verfolgt:
1. Freiberg will einen "Widerspruch zwischen Kunst- und Medienpädagogik"
dadurch ausräumen, daß er Aspekte der Medienpädagogik in den Kunstunterricht verlegt
und gleichzeitig den medienpädagogischen Ansatz vom kunstpädagogischen unterscheidet.
2. Freiberg verfolgt damit die Absicht eine "Medienkunst" zum Gegenstand von
Kunsterziehung zu machen. In der Auseinandersetzung mit dieser Medienkunst sieht er den
medienpädagogischen Ansatz der Kunsterziehung realisiert.
3. Freiberg möchte dem Schulfach Kunsterziehung einen neuen Namen geben:
"Medien-Kunst-Pädagogik".
Zu 1.
Den "Widerspruch zwischen Kunstpädagogik und Medienerziehung" als "Relikt
der Fachgeschichte" lokalisiert Freiberg darin, daß Medienerziehung im wesentlichen
Bezug nehme auf Bewußtseinsmanipulation als Ausgangspunkt für notwendige Kritik an den
Massenmedien. Somit stünden im Vordergrund aufklärerischer Medienarbeit die
"negativen Anteile" der Massenmedien, also primär außerkünstlerische
Problematiken.
Vor allem die Vertreter des Konzepts "Visuelle Kommunikation" hätten die
pädagogische Relevanz der Kunst für ihren Anspruch nach Aufklärung und Emanzipation
bestritten. Andererseits sei die Position der Kunsterziehung immer der individualisierten,
künstlerischen Nutzung zugewandt gewesen, was leicht zu einer Verdrängung der medialen
Problematik geführt habe. "Noch ist die Gefahr einer Vorstellung nicht gebannt, daß
Medienerziehung mit Kunst als einer spezifischen Weise der Welterkenntnis nichts zu tun
habe".
Zweierlei historische Akzentverschiebungen setzt Freiberg dieser überkommenen Sicht
entgegen. Einerseits habe sich durch die Digitalisierung auf Seiten der Medien eine
Entwicklung ergeben, die den ursprünglichen Unterschied zwischen individualisiertem und
massenhaftem Gebrauch nivelliere. Mit Internet, CD-ROM ständen heute Medien zur
Verfügung, die einem massenmedialen wie künstlerischen Gebrauch offenstünden und den
alten Traum Brechts in Wirklichkeit setzten, daß grundsätzlich jeder Empfänger zugleich
auch individueller Sender innerhalb eines gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses
werden kann. Andererseits habe sich innerhalb der Gegenwartskunst eine Medienkunst
etabliert, deren Bedeutung im Kunstbetrieb anerkannt sei und von der wesentliche Impulse
in alle Bereiche der bildenden Kunst ausgingen.
Zu 2.
Den Begriff "Medienkunst" macht Freiberg vor allem an Namen fest. Fluxus und
eine Auseinandersetzung mit dem Fernsehen und dem Fernseher (6oer und 70er Jahre) nennt er
als Ausgangspunkt. Dann macht er einen Sprung in die 90er Jahre, nennt Jeffrey Shaw,
Christa Somerer und Laurent Mignonneau, verfolgt die wachsende Präsenz von Medienkunst
von der documenta 8 bis 10, von der Biennale in Venedig 1995 bis hin zur Multimediale4
1997 in Karlsruhe und der Eröffnung der Museen für Neue Kunst und des Medienmuseums.
Weitere Namen sind Bill Viola, Garry Hill, Ingo Günther, Fabrizio Plessi, Nam Jun Paik,
Jeffrey Shaw
In mehreren Passagen wird deutlich, wie unsicher sich Freiberg mit dem Begriff der
Medienkunst "bei aller Unschärfe und Gefahr der Definition über das Medium"
ist. So scheinen ihm die Übergänge zum Videoclip und Videospiel fließend, sieht er an
anderer Stelle den Umgang mit den massenmedialen Produkten wie Werbefilm, Videoclip,
Computerspiel und Präsentation im Internet in das Konzept der Medien-Kunst-Pädagogik
eingeschlossen. Dies wirkt insofern verwirrend, als er anfangs erhebliche Anstrengungen
unternimmt am Begriff der Kunst festzuhalten, dem er ein emanzipatorisches Potential
zuerkennt, Reflexionshöhe und sinnliche Erkenntnis zumißt. Entscheidend für das
Festhalten am Begriff der Kunst scheint aber die Vorstellung zu sein, daß Medienkunst
eine ästhetische Qualität garantiere, während im Zusammenhang mit dem Massenmedium
mehrmals der Begriff "Medienschrott" verwendet wird. Diese Bezeichnung ist im
gegebenen Zusammenhang recht brisant, da bekanntlich in den Magazinen mancher Museen
inzwischen die Regale vom Schrott der Medienkunst aus drei Jahrzehnten überquellen, für
deren technische Bestandteile kein Ersatz mehr zu erhalten ist und die im herkömmlichen
Museumsbetrieb schlichtweg nicht zu warten sind.
Zu 3.
Warum Freiberg dem Fach Kunsterziehung einen neuen Namen vermitteln will, deutet sich am
Ende des Textes nur sehr schwach an.. Es geht offenbar darum, das Feld einer künstlerisch
fundierten, ästhetisch hochrangigen Medienpraxis pädagogisch zu besetzen als Beitrag des
Fachs zu einer in der aktuellen Bildungsdiskussion allgemein geforderten Ausstattung der
Kinder und Jugendlichen mit Medienkompetenz.
Widerspruch
Zur Einschätzung eines Konflikts zwischen Medienerziehung und Kunstpädagogik:
Es gibt unter den Vertretern des Fachs Kunsterziehung auf allen schulischen Ebenen wie
unter den Vertretern beliebiger anderer Fächer Individuen, die Medienerziehung kompetent
und vertieft betreiben. Aber es gibt in unseren Reihen, wie in den Reihen anderer
Fachvertreter auch Leute, die aus ihrem Verständnis von Kunst heraus medienpädagogische
Inhalte ablehnen, ihnen reserviert gegenüberstehen, oder sich als inkompetent, zu alt
oder auch im unterrichtlichen Ansatz hilflos fühlen. Eine allgemeine Kompetenz und
Sachverständigkeit in Fragen des Bildes behauptet der als Künstler ausgebildete
Kunsterzieher gelegentlich. Das heißt aber noch nicht, daß er auch wüßte, wie er im
Unterricht einen Film analysieren, die Produktion eines Videoclips initiieren, eine
Animation beurteilen, eine Homepage aufrufen oder gar programmieren sollte. Oft ist die
behauptete "Bildkompetenz" der Kunsterzieher schlichtweg Verstiegenheit, die
glaubt, aus der Erfahrung des Produzenten von Staffeleibildern heraus schon wesentliches
auch zum Erscheinungsbild technischer und elektronischer Bilder sagen zu können.
Wie weitgehend die medienpädagogischen Inhalte unseres Lehrplans im Unterricht umgesetzt
werden, hängt, wie ich meine, ab von der Einstellung des einzelnen Lehrers zu
medienpädagogischen Inhalten, von seiner Qualifikation im Umgang mit Medien, von der
Ausstattung der jeweiligen Schule.
Zum Versuch einer Eingrenzung "künstlerischer Medien":
Im Wortgebrauch "künstlerische Medien" steckt ein elementarer Denkfehler. Es
gibt keine künstlerischen Medien, so wenig, wie es künstlerische Techniken gibt. Jede
Technik, jedes Medium kann zur Herstellung eines Kunstwerks dienen, ein Bohrturm ebenso
wie eine Telefonleitung oder eine Leinwand. Aber es existiert kein Medium und keine
Technik, aus denen per se Kunstwerke hervorgehen würden. Einen Begriff von Kunst, der die
Tätigkeit des Bildhauers, des Malers, des Radierers, des Architekten jeder Couleur adelt,
sollten wir heute in der fachlichen Diskussion nur noch sehr beschränkt verwenden.
Entsprechend irreführend wäre die Rede von einem Widerspruch zwischen künstlerischen
Medien und Massenmedien. Um solches als Unsinn zu entlarven muß man nicht einen
gedanklichen Umweg über Prozesse der Digitalisierung machen.
Die Abgrenzung von künstlerischen Medien und Massenmedien muß meiner Ansicht nach auf
einer anderen Ebene diskutiert werden, nämlich auf der Ebene von künstlerischem Werk und
Massenprodukt. Der Begriff der Kunst ist seit der Renaissance aufs engste mit dem des
Werks verknüpft. Zum Kunstwerk gehört der sich als Autor fühlende Künstler und der
"Mythos vom absoluten Meisterwerk"(Belting), also die Ideen der Vollkommenheit,
Vollendung und des Absoluten, Unverwechselbaren und Einzelnen. Diesen Werkbegriff haben
die Impressionisten, Kubisten, Futuristen schon vor hundert Jahren zersetzt und
durchlöchert. Er wurde in den vergangenen hundert Jahren immer wieder zu Grabe getragen
und hält sich in den Köpfen von Künstlern und ihren Kunden und Verkaufsförderern doch
als reichlich lebendiges Gespenst. Lebendig wird dieser Geist immer dann, wenn die Kunst
selbst ihm wieder ein Stück seiner behaupteten Absolutheit entreißt. Die Verwendung von
technischen Medien zur Herstellung von Kunstwerken ist eine solche Wunde, die die
zeitgenössische Kunst dem tradierten Werkverständnis zufügt. Andere Wunden waren die
Serienbilder eines Monet, die Ready-mades von Duchamp, die Bildserien der Kubisten, die
Bildzitate der Popart, die 'Viertausend Meisterwerke' von Warhol, die Objektkunst,
Happening und Performance Art und vieles andere mehr. Allen Demontagen des klassischen
Werkbegriffs durch die Moderne stand stets ein trotziges "und nun erst recht"
all derer gegenüber, die entweder davon leben oder letztlich davon profitieren, daß das
Produkt eines künstlerischen Prozesses sich in einer Werkform präsentiert, die letztlich
auch die Wertform ist und an deren Präsentation sich entscheidet, ob dieser Auswurf
ästhetischer Produktion als Kunstwerk gelten soll oder nicht. Ist ein Musikclip deshalb
ein Kunstwerk, weil er von Andy Warhol ist? Der Kunstcharakter eines Dings ist heute weder
im physikalisch-materiellen Bestand noch im gestalterisch-formalen Bestand begründet,
sondern im ästhetischen Kontext seiner Inszenierung als Kunstwerk. Insofern trügt die
Hoffnung auf die besonderen ästhetischen Qualitäten von Medienkunst. Ästhetische
Qualität ist heute keine notwendige Voraussetzung mehr für ein Werk der Kunst.
Kunstausstellungen sind voll von Kunstwerken schlechter oder schwacher ästhetischer
Qualität. Es wäre geradezu lächerlich gewesen, von Duchamp zu verlangen, er hätte
einen besser, origineller gestalteten Flaschentrockner kaufen sollen, oder Warhol hätte
statt der Brillo-Boxen künstlerisch wertvolle, einzigartige Flakons nehmen sollen. Man
lese Arthur C. Danto "Die Verklärung des Gewöhnlichen" um sich der Facetten im
Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Ding und dem Kunstding zu vergewissern.
Zur Frage der pädagogischen und unterrichtlichen Qualität von Medienkunst und Inhalten
der Massenmedien:
So muß hier leider festgehalten werden, daß die Unterscheidung zwischen dem
Massenprodukt und dem Kunstwerk keinen notwendigen Unterschied im ästhetischen Wert
begründet. Eine andere Frage wäre, worin der erzieherische Wert eines ästhetischen
Objekts zu sehen ist. Ist dem als Kunstwerk inszenierten ästhetischen Objekt ein höherer
Bildungswert zuzumessen als einem nicht künstlerischen Objekt? Freiberg vertraut in
dieser Frage dem didaktischen Potential von Kunst auch nicht mehr voll. Design integriert
er großzügig in sein Kunstverständnis: "Design im besten Sinn ist Kunst",
wenn man einschränkt, daß "Gestaltung und Konzept der Information und Kommunikation
im Sinne der Aufklärung und Erkenntnis und nicht der Verblendung dienen". Hier
scheint durch, daß eine moralische Instanz zu bewerten hat, was als Kunst gelten kann.
Mit derlei Filter läßt sich Kunst vielleicht im pädagogischen Raum von Heranwachsenden
begrenzen. Die Kunst selbst kann eine solche Maßregelung nicht dulden. Hieran zeigt sich,
daß die pädagogische und unterrichtliche Eignung eines Gegenstands, auch eines Werks der
Kunst einen anderen Gradmesser benötigt.
"Die Brücke zu den Alltagserfahrungen der Kinder und Jugendlichen" spricht
Freiberg gegen Ende seiner Ausführungen an. Das ist genau der entscheidende Punkt, der in
fachdidaktischen Exkursen so gerne völlig übersehen wird. Wir haben es im Unterricht mit
einer Jugend zu tun, die Videoclips oder Computerspiele nicht vor dem Hintergrund von
Medienkunst diskutieren kann oder will. Mit viel Energie und etwas Glück kommt man im
Unterricht über die Diskussion des Trivialen auf ein Interesse am intellektuell
Fordernden und möglicherweise auch zum ästhetisch Verwirrenden und Irritierenden, das
uns die Kunst heute in der Regel bietet. Das ist stets ein Weg der Anstrengung. Die
passenden Beispiele fallen einem als Lehrer nicht in den Schoß. Und oft sind es nicht die
hochrangigen Werke, denen das Interesse der Schüler zufällt, sondern altersgemäße
Reize, dosierte Provokationen, die die Aufmerksamkeit wecken und ein Interesse binden. Da
Kunst auch in der Regel nicht für Jugendliche gemacht wird, ist es kein Wunder, wenn hier
der Zugang oft nicht leicht fällt. Gerade avantgardistische Bewegungen präsentieren sich
zudem immer stark theorielastig, knüpfen nicht gerade an gängigen Positionen an und sind
so auch naturgemäß schwer vermittelbar, bieten dem nach Orientierung und Klarheit
suchenden Heranwachsenden nicht das gewünschte Feld. Wenn schon im 19. Jh. erhebliche
Verständnisprobleme mit der Unterscheidung von Klassizismus und Romantik, Naturalismus -
Impressionismus - Realismus auftauchen, dann bleibt von der Moderne oft nur ein äußerst
dünnes Netz von Werken, Namen, Richtungsbezeichnungen, die für den, der etwas lernen
will, unbefriedigend bleiben muß. Abgesehen davon stellt die zeitgenössische Kunst für
den Lehrer selbst der jüngsten Generation oft schon ein verwirrendes Rätsel dar, über
das er selbst Aufklärung braucht. Und Aufklärung wird doch gefordert, oder sollen wir
wieder zu Respekt, zum Staunen und zur Andacht vor der Kunst (Medienkunst) erziehen?
Die Form der Präsentation von Medienkunst im Unterricht muß zudem erst noch gefunden
werden. Das Dia gibt in der Regel wenig her, Videos mit Werkbetrachtungen sind rar und
meist für Unterrichtszwecke ungeeignet. Was soll an einem Standfoto, an einem Foto aus
einer Dokumentation über eine Performance von Abramovic einer Klasse vermittelt werden?
Und kommt einmal ein brauchbares Video auf den Markt (Fischli/Weiss), dann wird es
pädagogisch auch genutzt. Bleibt der Museumsbesuch. Und hier finden sich von den
ursprünglich vielfach in komplexe Darbietungen eingebundenen "Werken" nur die
museal präsentierbaren Relikte, an denen sich sinnlich nur noch eine museale
Präsentationsästhetik vermittelt.
Ein anderes pädagogisches Filter für die Auswahl von präsentierten Beispielen ist die
Frage: Wohin führt mich die Betrachtung, wenn es nicht beim Betrachten bleiben soll.
Welche Sorte von Medien-Kunst-Unterrichts-Kunst soll entstehen um die Werkidee in den
Köpfen der Schüler weiterleben zu lassen? Hier stößt man gelegentlich auf einen
methodischen Weg, den die akademische Kunstlehre entwickelt hat: Aneignung und Nachvollzug
durch Nachahmung. Ganze Generationen von Künstlern wurden seit dem 17. Jh. so
ausgebildet. Im Nachschaffen, Nachbilden wurde der Blick geschult, die meisterhafte
Maniera eingeübt. Ob eine solche Methode für ein Erlernen und Verstehen
objektkünstlerischer, performativer oder medienkünstlerischer Praktiken Bestand haben
kann, muß ernsthaft bezweifelt werden. Henning Freiberg äußert sich hier zu diesem
Komplex nicht, wird aber wohl auch das Problem sehen, das im relativ engen Rahmen des
schulischen Unterrichts liegt, der die möglichen und denkbaren Formen individueller und
kollektiver Aneignung stark einengt.
Zum Problem der Eingrenzung einer Medienkunst in einem entgrenzten Kunstbegriff:
Frage an Freiberg: Soll die eben geschaffene Medien-Kunst-Pädagogik sich also in erster
Linie den Inhalten von Medienkunst verschreiben, oder bedeutet der Begriff Medien im
Fachtitel eine schlichte Erweiterung und ein nach außen gerichtetes Signal : 'Wir
besetzen den Begriff Medien'?
Der Begriff Kunst wird heute vielfach in einem Sinn gebraucht wie der amerikanische
Begriff Art, dem eher ein mittelalterliches Verständnis von artes mechanices entspricht.
Man fügt dem Wort 'Art' ein Anhängsel hinzu, um in den grenzenlos gedachten Facetten ein
neues Register zu schaffen. In diesem Sinn wäre Medienkunst eine Schublade, in der
wiederum Kladden für Computerkunst, Videokunst, Copyart, und dergl. enthalten sind. Da es
im zeitgenössischen Kunstbetrieb in erster Linie um die ästhetische Inszenierung von
Objekten , Handlungen, Personen als Kunstwerke geht, spielen solche Bezeichnungen eine
Identität stiftende Rolle. Computerkunst muß dann den Computer auch wahrnehmbar als
Medium inszenieren oder, wenn er als Erzeuger einer Bildwelt nicht mehr wahrnehmbar sein
sollte, durch Titel und Sparte darauf aufmerksam machen, worum es bei der 'Art' geht. Die
Beliebigkeit dieser Form von Begriffsentgrenzung verschleiert, daß sich im
zeitgenössischen Kunstbegriff Richtungen tummeln, die sich im Kern widersprechen,
tendenziell sogar als friedliches Nebeneinander ausschließen. Auf eigenartige Weise
findet der Widerspruch jedoch nicht offen statt. Wo im Übergang vom 19. zum 20 Jh. der
Konflikt zwischen Traditionalisten und Revolutionären der Kunst meist offen und zum Teil
bilderstürmerisch ausgetragen wurde, da herrscht heute ein eigenartiges
Stillhalteabkommen, das von der einen Seite als Toleranz und demokratische Gesinnung
gepriesen wird, gegen das aber von einer anderen Seite als wertmäßige Indifferenz
("anything goes") polemisiert wird. Was in der Öffentlichkeit des Kunstbetriebs
als Toleranz erscheint, entlarvt sich nur in Gremien, die hinter verschlossenen Türen
Entscheidungen fällen über Berufungen von Personen, Vergabe von Stipendien, Konzeptionen
von Ausstellungen. Unter der Oberfläche der Toleranz gegenüber Ideen gären die
traditionellen Schismen, Sezessionen als Glaubenskriege weiter: Der Konflikt zwischen
Maschinenwelt / Technik und individueller Werkschöpfung / meisterlichem Duktus oder der
zwischen Produkt / Design und Werk / Kunst, oder der zwischen Gestaltung und Schöpfung,
oder der zwischen einer Kunst für die Kunst, den Künstler und das Museum und einer
Gestaltung des Lebensraums als geforderter Einheit von Kunst und Leben, oder der zwischen
Kunst und Kunsthandwerk, oder, wenn man noch weiter zurückgehen will, der zwischen
Malerei und Bildhauerei, oder, um wieder aktueller zu werden, der zwischen Künstlern, die
noch malen oder zeichnen und solchen, die die Unmöglichkeit der Realisation des absoluten
Werks 'schon erkannt' haben und sich mit Konzepten über Wasser halten. Diese Liste läßt
sich noch ein gutes Stück weiterführen und zeigt die Antagonismen auf, die jeder hautnah
kennt, der eine Kunstakademie durchlaufen hat.
Dem Kunstbegriff kann es egal sein, ob ihm auch noch eine Medienkunst angehängt wird. Die
Maler unter den Künstlern wird das nicht beeindrucken und die Maler unter den
Kunstpädagogen werden sich in ihrer fachlichen Nische räkeln und die nächste Leinwand
aufspannen. Kunst ist heute ein Tummelplatz für alle möglichen Geister, die das Asyl des
Schonraums Kunst aufsuchen, um dort ihren individualistischen Strebungen, privaten
Neigungen nachzugehen, ihre hehren, absoluten, beschränkten, affirmativen oder
subversiven Ideen auszuleben, ohne dabei auf Subventionen, Stipendien, Privilegien der
Kunst verzichten zu wollen. Insofern fährt die Kunsterziehung nicht schlecht, wenn sie
unter dem Schutzmantel des Kunstbegriffs bleibt, so lange er sie gegen Regen und Sturm
schützt. Wer ein anderes Dach sucht, sollte sich erst vergewissern, ob darunter ein
gesicherter Platz ist. Eine pädagogische Konzeption allerdings, die über den Anspruch
"Toleranz" hinausgeht - und das ist in einer demokratischen Gesellschaft ja
nicht wenig - ist aus dem entgrenzten Kunstverständnis der Moderne kaum noch abzuleiten.
Oder anders gesagt: irgendein Begriff von Kunst ließe sich für jedes beliebige
pädagogische Programm in Dienst nehmen. "Toleranz" als pädagogisches Programm
müßte allerdings danach streben, die Antagonismen im Kunstbetrieb aufzuzeigen, auf ihre
historischen Ursprünge aufmerksam zu machen, Stellungnahmen herauszufordern, Orientierung
zu geben. Insofern sollten sich 'Medien-Kunst-Pädagogen' über die fachlichen Positionen
Klarheit verschaffen, gegen die sie argumentieren, agieren, denen sie möglicherweise
fachintern das Wasser abgraben ohne dies programmatisch auf einer Fahne vor sich her zu
tragen.
Zuspruch und Fazit
Die Auseinandersetzung mit Freiberg soll keinen falschen Eindruck erwecken. Freibergs
Position ist seit 15 Jahren in der Fachdidaktik die einzige überregional vernehmbare
Stimme, die offen für eine Integration der ''Neuen Medien' in ein Fachkonzept
Kunsterziehung eintritt. Das mag ihn auch dazu antreiben, sich als Namenspatron für die
Sache stark zu machen, die er kompetent vertritt. Freiberg hat recht mit der Forderung die
Anliegen von Medienerziehung innerhalb der Kunstpädagogik lautstark zu vertreten und er
hat recht, wenn er in Abgrenzung zu Positionen der "Visuellen Kommunikation" auf
einer Position beharrt, die der Kunst traditionell verbunden bleibt. Freiberg ist
zuzustimmen, wenn er fordert, daß Positionen der Medienerziehung, die in der aktuellen
Bildungsdebatte aktuell sind, auch von den Fachvertretern der Kunsterziehung besetzt
werden müssen, insofern dadurch Belange des Fachs berührt werden und durch Anhängen an
einen Trend auch eine Stärkung des Fachs erwartet werden darf. Die Kunsterzieher dürfen
die technischen Bildmedien, die digitale Bildbearbeitung, das Zusammenwachsen von Bild,
Ton und Text, die multimediale Verknüpfung von Spiel und Information nicht in die
pädagogischen Sphären anderer Fächer entlassen. Sie müssen sich kompetent machen und
traditionelle Positionen an die aktuellen Trends vermitteln, ohne sich zu verbiegen. Das
wird nicht von jeder Position des Fachs aus möglich sein, ist aber von den Kunsterziehern
zu fordern, die der Arbeit mit Medien aufgeschlossen gegenüber stehen.
Für die Umbenennung der Kunsterziehung in Medien-Kunst-Pädagogik kann ich in Bayern
weder einen Anlaß, noch einen Bedarf erkennen. Konflikte zwischen Kunst- und
Medienerziehung existieren innerhalb der Kunstpädagogik und im Verhältnis zwischen den
Vertretern anderer Fächer, die Medienerziehung betreiben. Hier ist politisches Denken zu
fordern, sind Koalitionen zu suchen und wird stellenweise Abgrenzung notwendig sein. Für
die Einbeziehung der 'Medienkunst' in den Kunstunterricht ab der Mittelstufe sind
geeignete Beispiele ausfindig zu machen, Unterrichtsmodelle zu entwerfen und zu erproben,
ohne daß damit eine Entscheidung gegen ästhetische Produkte oder Phänomene jenseits von
Medienkunst ausgesprochen werden kann.
Literatur: Hans Belting, "Das unsichtbare Meisterwerk"; Arthur C. Danto,
"Die Verklärung des Gewöhnlichen"