Kritik von Ulrich Schuster, Luitpoldgymnasium München, an den Thesen von Freiberg


Im Text von Henning Freiberg auf der Homepage der LAG Neue Medien sehe ich drei Ziele verfolgt:

1. Freiberg will einen "Widerspruch zwischen Kunst- und Medienpädagogik" dadurch ausräumen, daß er Aspekte der Medienpädagogik in den Kunstunterricht verlegt und gleichzeitig den medienpädagogischen Ansatz vom kunstpädagogischen unterscheidet.
2. Freiberg verfolgt damit die Absicht eine "Medienkunst" zum Gegenstand von Kunsterziehung zu machen. In der Auseinandersetzung mit dieser Medienkunst sieht er den medienpädagogischen Ansatz der Kunsterziehung realisiert.
3. Freiberg möchte dem Schulfach Kunsterziehung einen neuen Namen geben: "Medien-Kunst-Pädagogik".


Zu 1.
Den "Widerspruch zwischen Kunstpädagogik und Medienerziehung" als "Relikt der Fachgeschichte" lokalisiert Freiberg darin, daß Medienerziehung im wesentlichen Bezug nehme auf Bewußtseinsmanipulation als Ausgangspunkt für notwendige Kritik an den Massenmedien. Somit stünden im Vordergrund aufklärerischer Medienarbeit die "negativen Anteile" der Massenmedien, also primär außerkünstlerische Problematiken.
Vor allem die Vertreter des Konzepts "Visuelle Kommunikation" hätten die pädagogische Relevanz der Kunst für ihren Anspruch nach Aufklärung und Emanzipation bestritten. Andererseits sei die Position der Kunsterziehung immer der individualisierten, künstlerischen Nutzung zugewandt gewesen, was leicht zu einer Verdrängung der medialen Problematik geführt habe. "Noch ist die Gefahr einer Vorstellung nicht gebannt, daß Medienerziehung mit Kunst als einer spezifischen Weise der Welterkenntnis nichts zu tun habe".

Zweierlei historische Akzentverschiebungen setzt Freiberg dieser überkommenen Sicht entgegen. Einerseits habe sich durch die Digitalisierung auf Seiten der Medien eine Entwicklung ergeben, die den ursprünglichen Unterschied zwischen individualisiertem und massenhaftem Gebrauch nivelliere. Mit Internet, CD-ROM ständen heute Medien zur Verfügung, die einem massenmedialen wie künstlerischen Gebrauch offenstünden und den alten Traum Brechts in Wirklichkeit setzten, daß grundsätzlich jeder Empfänger zugleich auch individueller Sender innerhalb eines gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses werden kann. Andererseits habe sich innerhalb der Gegenwartskunst eine Medienkunst etabliert, deren Bedeutung im Kunstbetrieb anerkannt sei und von der wesentliche Impulse in alle Bereiche der bildenden Kunst ausgingen.

Zu 2.
Den Begriff "Medienkunst" macht Freiberg vor allem an Namen fest. Fluxus und eine Auseinandersetzung mit dem Fernsehen und dem Fernseher (6oer und 70er Jahre) nennt er als Ausgangspunkt. Dann macht er einen Sprung in die 90er Jahre, nennt Jeffrey Shaw, Christa Somerer und Laurent Mignonneau, verfolgt die wachsende Präsenz von Medienkunst von der documenta 8 bis 10, von der Biennale in Venedig 1995 bis hin zur Multimediale4 1997 in Karlsruhe und der Eröffnung der Museen für Neue Kunst und des Medienmuseums. Weitere Namen sind Bill Viola, Garry Hill, Ingo Günther, Fabrizio Plessi, Nam Jun Paik, Jeffrey Shaw
In mehreren Passagen wird deutlich, wie unsicher sich Freiberg mit dem Begriff der Medienkunst "bei aller Unschärfe und Gefahr der Definition über das Medium" ist. So scheinen ihm die Übergänge zum Videoclip und Videospiel fließend, sieht er an anderer Stelle den Umgang mit den massenmedialen Produkten wie Werbefilm, Videoclip, Computerspiel und Präsentation im Internet in das Konzept der Medien-Kunst-Pädagogik eingeschlossen. Dies wirkt insofern verwirrend, als er anfangs erhebliche Anstrengungen unternimmt am Begriff der Kunst festzuhalten, dem er ein emanzipatorisches Potential zuerkennt, Reflexionshöhe und sinnliche Erkenntnis zumißt. Entscheidend für das Festhalten am Begriff der Kunst scheint aber die Vorstellung zu sein, daß Medienkunst eine ästhetische Qualität garantiere, während im Zusammenhang mit dem Massenmedium mehrmals der Begriff "Medienschrott" verwendet wird. Diese Bezeichnung ist im gegebenen Zusammenhang recht brisant, da bekanntlich in den Magazinen mancher Museen inzwischen die Regale vom Schrott der Medienkunst aus drei Jahrzehnten überquellen, für deren technische Bestandteile kein Ersatz mehr zu erhalten ist und die im herkömmlichen Museumsbetrieb schlichtweg nicht zu warten sind.

Zu 3.
Warum Freiberg dem Fach Kunsterziehung einen neuen Namen vermitteln will, deutet sich am Ende des Textes nur sehr schwach an.. Es geht offenbar darum, das Feld einer künstlerisch fundierten, ästhetisch hochrangigen Medienpraxis pädagogisch zu besetzen als Beitrag des Fachs zu einer in der aktuellen Bildungsdiskussion allgemein geforderten Ausstattung der Kinder und Jugendlichen mit Medienkompetenz.


Widerspruch
Zur Einschätzung eines Konflikts zwischen Medienerziehung und Kunstpädagogik:
Es gibt unter den Vertretern des Fachs Kunsterziehung auf allen schulischen Ebenen wie unter den Vertretern beliebiger anderer Fächer Individuen, die Medienerziehung kompetent und vertieft betreiben. Aber es gibt in unseren Reihen, wie in den Reihen anderer Fachvertreter auch Leute, die aus ihrem Verständnis von Kunst heraus medienpädagogische Inhalte ablehnen, ihnen reserviert gegenüberstehen, oder sich als inkompetent, zu alt oder auch im unterrichtlichen Ansatz hilflos fühlen. Eine allgemeine Kompetenz und Sachverständigkeit in Fragen des Bildes behauptet der als Künstler ausgebildete Kunsterzieher gelegentlich. Das heißt aber noch nicht, daß er auch wüßte, wie er im Unterricht einen Film analysieren, die Produktion eines Videoclips initiieren, eine Animation beurteilen, eine Homepage aufrufen oder gar programmieren sollte. Oft ist die behauptete "Bildkompetenz" der Kunsterzieher schlichtweg Verstiegenheit, die glaubt, aus der Erfahrung des Produzenten von Staffeleibildern heraus schon wesentliches auch zum Erscheinungsbild technischer und elektronischer Bilder sagen zu können.
Wie weitgehend die medienpädagogischen Inhalte unseres Lehrplans im Unterricht umgesetzt werden, hängt, wie ich meine, ab von der Einstellung des einzelnen Lehrers zu medienpädagogischen Inhalten, von seiner Qualifikation im Umgang mit Medien, von der Ausstattung der jeweiligen Schule.

Zum Versuch einer Eingrenzung "künstlerischer Medien":
Im Wortgebrauch "künstlerische Medien" steckt ein elementarer Denkfehler. Es gibt keine künstlerischen Medien, so wenig, wie es künstlerische Techniken gibt. Jede Technik, jedes Medium kann zur Herstellung eines Kunstwerks dienen, ein Bohrturm ebenso wie eine Telefonleitung oder eine Leinwand. Aber es existiert kein Medium und keine Technik, aus denen per se Kunstwerke hervorgehen würden. Einen Begriff von Kunst, der die Tätigkeit des Bildhauers, des Malers, des Radierers, des Architekten jeder Couleur adelt, sollten wir heute in der fachlichen Diskussion nur noch sehr beschränkt verwenden. Entsprechend irreführend wäre die Rede von einem Widerspruch zwischen künstlerischen Medien und Massenmedien. Um solches als Unsinn zu entlarven muß man nicht einen gedanklichen Umweg über Prozesse der Digitalisierung machen.

Die Abgrenzung von künstlerischen Medien und Massenmedien muß meiner Ansicht nach auf einer anderen Ebene diskutiert werden, nämlich auf der Ebene von künstlerischem Werk und Massenprodukt. Der Begriff der Kunst ist seit der Renaissance aufs engste mit dem des Werks verknüpft. Zum Kunstwerk gehört der sich als Autor fühlende Künstler und der "Mythos vom absoluten Meisterwerk"(Belting), also die Ideen der Vollkommenheit, Vollendung und des Absoluten, Unverwechselbaren und Einzelnen. Diesen Werkbegriff haben die Impressionisten, Kubisten, Futuristen schon vor hundert Jahren zersetzt und durchlöchert. Er wurde in den vergangenen hundert Jahren immer wieder zu Grabe getragen und hält sich in den Köpfen von Künstlern und ihren Kunden und Verkaufsförderern doch als reichlich lebendiges Gespenst. Lebendig wird dieser Geist immer dann, wenn die Kunst selbst ihm wieder ein Stück seiner behaupteten Absolutheit entreißt. Die Verwendung von technischen Medien zur Herstellung von Kunstwerken ist eine solche Wunde, die die zeitgenössische Kunst dem tradierten Werkverständnis zufügt. Andere Wunden waren die Serienbilder eines Monet, die Ready-mades von Duchamp, die Bildserien der Kubisten, die Bildzitate der Popart, die 'Viertausend Meisterwerke' von Warhol, die Objektkunst, Happening und Performance Art und vieles andere mehr. Allen Demontagen des klassischen Werkbegriffs durch die Moderne stand stets ein trotziges "und nun erst recht" all derer gegenüber, die entweder davon leben oder letztlich davon profitieren, daß das Produkt eines künstlerischen Prozesses sich in einer Werkform präsentiert, die letztlich auch die Wertform ist und an deren Präsentation sich entscheidet, ob dieser Auswurf ästhetischer Produktion als Kunstwerk gelten soll oder nicht. Ist ein Musikclip deshalb ein Kunstwerk, weil er von Andy Warhol ist? Der Kunstcharakter eines Dings ist heute weder im physikalisch-materiellen Bestand noch im gestalterisch-formalen Bestand begründet, sondern im ästhetischen Kontext seiner Inszenierung als Kunstwerk. Insofern trügt die Hoffnung auf die besonderen ästhetischen Qualitäten von Medienkunst. Ästhetische Qualität ist heute keine notwendige Voraussetzung mehr für ein Werk der Kunst. Kunstausstellungen sind voll von Kunstwerken schlechter oder schwacher ästhetischer Qualität. Es wäre geradezu lächerlich gewesen, von Duchamp zu verlangen, er hätte einen besser, origineller gestalteten Flaschentrockner kaufen sollen, oder Warhol hätte statt der Brillo-Boxen künstlerisch wertvolle, einzigartige Flakons nehmen sollen. Man lese Arthur C. Danto "Die Verklärung des Gewöhnlichen" um sich der Facetten im Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Ding und dem Kunstding zu vergewissern.


Zur Frage der pädagogischen und unterrichtlichen Qualität von Medienkunst und Inhalten der Massenmedien:
So muß hier leider festgehalten werden, daß die Unterscheidung zwischen dem Massenprodukt und dem Kunstwerk keinen notwendigen Unterschied im ästhetischen Wert begründet. Eine andere Frage wäre, worin der erzieherische Wert eines ästhetischen Objekts zu sehen ist. Ist dem als Kunstwerk inszenierten ästhetischen Objekt ein höherer Bildungswert zuzumessen als einem nicht künstlerischen Objekt? Freiberg vertraut in dieser Frage dem didaktischen Potential von Kunst auch nicht mehr voll. Design integriert er großzügig in sein Kunstverständnis: "Design im besten Sinn ist Kunst", wenn man einschränkt, daß "Gestaltung und Konzept der Information und Kommunikation im Sinne der Aufklärung und Erkenntnis und nicht der Verblendung dienen". Hier scheint durch, daß eine moralische Instanz zu bewerten hat, was als Kunst gelten kann. Mit derlei Filter läßt sich Kunst vielleicht im pädagogischen Raum von Heranwachsenden begrenzen. Die Kunst selbst kann eine solche Maßregelung nicht dulden. Hieran zeigt sich, daß die pädagogische und unterrichtliche Eignung eines Gegenstands, auch eines Werks der Kunst einen anderen Gradmesser benötigt.

"Die Brücke zu den Alltagserfahrungen der Kinder und Jugendlichen" spricht Freiberg gegen Ende seiner Ausführungen an. Das ist genau der entscheidende Punkt, der in fachdidaktischen Exkursen so gerne völlig übersehen wird. Wir haben es im Unterricht mit einer Jugend zu tun, die Videoclips oder Computerspiele nicht vor dem Hintergrund von Medienkunst diskutieren kann oder will. Mit viel Energie und etwas Glück kommt man im Unterricht über die Diskussion des Trivialen auf ein Interesse am intellektuell Fordernden und möglicherweise auch zum ästhetisch Verwirrenden und Irritierenden, das uns die Kunst heute in der Regel bietet. Das ist stets ein Weg der Anstrengung. Die passenden Beispiele fallen einem als Lehrer nicht in den Schoß. Und oft sind es nicht die hochrangigen Werke, denen das Interesse der Schüler zufällt, sondern altersgemäße Reize, dosierte Provokationen, die die Aufmerksamkeit wecken und ein Interesse binden. Da Kunst auch in der Regel nicht für Jugendliche gemacht wird, ist es kein Wunder, wenn hier der Zugang oft nicht leicht fällt. Gerade avantgardistische Bewegungen präsentieren sich zudem immer stark theorielastig, knüpfen nicht gerade an gängigen Positionen an und sind so auch naturgemäß schwer vermittelbar, bieten dem nach Orientierung und Klarheit suchenden Heranwachsenden nicht das gewünschte Feld. Wenn schon im 19. Jh. erhebliche Verständnisprobleme mit der Unterscheidung von Klassizismus und Romantik, Naturalismus - Impressionismus - Realismus auftauchen, dann bleibt von der Moderne oft nur ein äußerst dünnes Netz von Werken, Namen, Richtungsbezeichnungen, die für den, der etwas lernen will, unbefriedigend bleiben muß. Abgesehen davon stellt die zeitgenössische Kunst für den Lehrer selbst der jüngsten Generation oft schon ein verwirrendes Rätsel dar, über das er selbst Aufklärung braucht. Und Aufklärung wird doch gefordert, oder sollen wir wieder zu Respekt, zum Staunen und zur Andacht vor der Kunst (Medienkunst) erziehen?

Die Form der Präsentation von Medienkunst im Unterricht muß zudem erst noch gefunden werden. Das Dia gibt in der Regel wenig her, Videos mit Werkbetrachtungen sind rar und meist für Unterrichtszwecke ungeeignet. Was soll an einem Standfoto, an einem Foto aus einer Dokumentation über eine Performance von Abramovic einer Klasse vermittelt werden? Und kommt einmal ein brauchbares Video auf den Markt (Fischli/Weiss), dann wird es pädagogisch auch genutzt. Bleibt der Museumsbesuch. Und hier finden sich von den ursprünglich vielfach in komplexe Darbietungen eingebundenen "Werken" nur die museal präsentierbaren Relikte, an denen sich sinnlich nur noch eine museale Präsentationsästhetik vermittelt.
Ein anderes pädagogisches Filter für die Auswahl von präsentierten Beispielen ist die Frage: Wohin führt mich die Betrachtung, wenn es nicht beim Betrachten bleiben soll. Welche Sorte von Medien-Kunst-Unterrichts-Kunst soll entstehen um die Werkidee in den Köpfen der Schüler weiterleben zu lassen? Hier stößt man gelegentlich auf einen methodischen Weg, den die akademische Kunstlehre entwickelt hat: Aneignung und Nachvollzug durch Nachahmung. Ganze Generationen von Künstlern wurden seit dem 17. Jh. so ausgebildet. Im Nachschaffen, Nachbilden wurde der Blick geschult, die meisterhafte Maniera eingeübt. Ob eine solche Methode für ein Erlernen und Verstehen objektkünstlerischer, performativer oder medienkünstlerischer Praktiken Bestand haben kann, muß ernsthaft bezweifelt werden. Henning Freiberg äußert sich hier zu diesem Komplex nicht, wird aber wohl auch das Problem sehen, das im relativ engen Rahmen des schulischen Unterrichts liegt, der die möglichen und denkbaren Formen individueller und kollektiver Aneignung stark einengt.

Zum Problem der Eingrenzung einer Medienkunst in einem entgrenzten Kunstbegriff:
Frage an Freiberg: Soll die eben geschaffene Medien-Kunst-Pädagogik sich also in erster Linie den Inhalten von Medienkunst verschreiben, oder bedeutet der Begriff Medien im Fachtitel eine schlichte Erweiterung und ein nach außen gerichtetes Signal : 'Wir besetzen den Begriff Medien'?
Der Begriff Kunst wird heute vielfach in einem Sinn gebraucht wie der amerikanische Begriff Art, dem eher ein mittelalterliches Verständnis von artes mechanices entspricht. Man fügt dem Wort 'Art' ein Anhängsel hinzu, um in den grenzenlos gedachten Facetten ein neues Register zu schaffen. In diesem Sinn wäre Medienkunst eine Schublade, in der wiederum Kladden für Computerkunst, Videokunst, Copyart, und dergl. enthalten sind. Da es im zeitgenössischen Kunstbetrieb in erster Linie um die ästhetische Inszenierung von Objekten , Handlungen, Personen als Kunstwerke geht, spielen solche Bezeichnungen eine Identität stiftende Rolle. Computerkunst muß dann den Computer auch wahrnehmbar als Medium inszenieren oder, wenn er als Erzeuger einer Bildwelt nicht mehr wahrnehmbar sein sollte, durch Titel und Sparte darauf aufmerksam machen, worum es bei der 'Art' geht. Die Beliebigkeit dieser Form von Begriffsentgrenzung verschleiert, daß sich im zeitgenössischen Kunstbegriff Richtungen tummeln, die sich im Kern widersprechen, tendenziell sogar als friedliches Nebeneinander ausschließen. Auf eigenartige Weise findet der Widerspruch jedoch nicht offen statt. Wo im Übergang vom 19. zum 20 Jh. der Konflikt zwischen Traditionalisten und Revolutionären der Kunst meist offen und zum Teil bilderstürmerisch ausgetragen wurde, da herrscht heute ein eigenartiges Stillhalteabkommen, das von der einen Seite als Toleranz und demokratische Gesinnung gepriesen wird, gegen das aber von einer anderen Seite als wertmäßige Indifferenz ("anything goes") polemisiert wird. Was in der Öffentlichkeit des Kunstbetriebs als Toleranz erscheint, entlarvt sich nur in Gremien, die hinter verschlossenen Türen Entscheidungen fällen über Berufungen von Personen, Vergabe von Stipendien, Konzeptionen von Ausstellungen. Unter der Oberfläche der Toleranz gegenüber Ideen gären die traditionellen Schismen, Sezessionen als Glaubenskriege weiter: Der Konflikt zwischen Maschinenwelt / Technik und individueller Werkschöpfung / meisterlichem Duktus oder der zwischen Produkt / Design und Werk / Kunst, oder der zwischen Gestaltung und Schöpfung, oder der zwischen einer Kunst für die Kunst, den Künstler und das Museum und einer Gestaltung des Lebensraums als geforderter Einheit von Kunst und Leben, oder der zwischen Kunst und Kunsthandwerk, oder, wenn man noch weiter zurückgehen will, der zwischen Malerei und Bildhauerei, oder, um wieder aktueller zu werden, der zwischen Künstlern, die noch malen oder zeichnen und solchen, die die Unmöglichkeit der Realisation des absoluten Werks 'schon erkannt' haben und sich mit Konzepten über Wasser halten. Diese Liste läßt sich noch ein gutes Stück weiterführen und zeigt die Antagonismen auf, die jeder hautnah kennt, der eine Kunstakademie durchlaufen hat.

Dem Kunstbegriff kann es egal sein, ob ihm auch noch eine Medienkunst angehängt wird. Die Maler unter den Künstlern wird das nicht beeindrucken und die Maler unter den Kunstpädagogen werden sich in ihrer fachlichen Nische räkeln und die nächste Leinwand aufspannen. Kunst ist heute ein Tummelplatz für alle möglichen Geister, die das Asyl des Schonraums Kunst aufsuchen, um dort ihren individualistischen Strebungen, privaten Neigungen nachzugehen, ihre hehren, absoluten, beschränkten, affirmativen oder subversiven Ideen auszuleben, ohne dabei auf Subventionen, Stipendien, Privilegien der Kunst verzichten zu wollen. Insofern fährt die Kunsterziehung nicht schlecht, wenn sie unter dem Schutzmantel des Kunstbegriffs bleibt, so lange er sie gegen Regen und Sturm schützt. Wer ein anderes Dach sucht, sollte sich erst vergewissern, ob darunter ein gesicherter Platz ist. Eine pädagogische Konzeption allerdings, die über den Anspruch "Toleranz" hinausgeht - und das ist in einer demokratischen Gesellschaft ja nicht wenig - ist aus dem entgrenzten Kunstverständnis der Moderne kaum noch abzuleiten. Oder anders gesagt: irgendein Begriff von Kunst ließe sich für jedes beliebige pädagogische Programm in Dienst nehmen. "Toleranz" als pädagogisches Programm müßte allerdings danach streben, die Antagonismen im Kunstbetrieb aufzuzeigen, auf ihre historischen Ursprünge aufmerksam zu machen, Stellungnahmen herauszufordern, Orientierung zu geben. Insofern sollten sich 'Medien-Kunst-Pädagogen' über die fachlichen Positionen Klarheit verschaffen, gegen die sie argumentieren, agieren, denen sie möglicherweise fachintern das Wasser abgraben ohne dies programmatisch auf einer Fahne vor sich her zu tragen.


Zuspruch und Fazit
Die Auseinandersetzung mit Freiberg soll keinen falschen Eindruck erwecken. Freibergs Position ist seit 15 Jahren in der Fachdidaktik die einzige überregional vernehmbare Stimme, die offen für eine Integration der ''Neuen Medien' in ein Fachkonzept Kunsterziehung eintritt. Das mag ihn auch dazu antreiben, sich als Namenspatron für die Sache stark zu machen, die er kompetent vertritt. Freiberg hat recht mit der Forderung die Anliegen von Medienerziehung innerhalb der Kunstpädagogik lautstark zu vertreten und er hat recht, wenn er in Abgrenzung zu Positionen der "Visuellen Kommunikation" auf einer Position beharrt, die der Kunst traditionell verbunden bleibt. Freiberg ist zuzustimmen, wenn er fordert, daß Positionen der Medienerziehung, die in der aktuellen Bildungsdebatte aktuell sind, auch von den Fachvertretern der Kunsterziehung besetzt werden müssen, insofern dadurch Belange des Fachs berührt werden und durch Anhängen an einen Trend auch eine Stärkung des Fachs erwartet werden darf. Die Kunsterzieher dürfen die technischen Bildmedien, die digitale Bildbearbeitung, das Zusammenwachsen von Bild, Ton und Text, die multimediale Verknüpfung von Spiel und Information nicht in die pädagogischen Sphären anderer Fächer entlassen. Sie müssen sich kompetent machen und traditionelle Positionen an die aktuellen Trends vermitteln, ohne sich zu verbiegen. Das wird nicht von jeder Position des Fachs aus möglich sein, ist aber von den Kunsterziehern zu fordern, die der Arbeit mit Medien aufgeschlossen gegenüber stehen.
Für die Umbenennung der Kunsterziehung in Medien-Kunst-Pädagogik kann ich in Bayern weder einen Anlaß, noch einen Bedarf erkennen. Konflikte zwischen Kunst- und Medienerziehung existieren innerhalb der Kunstpädagogik und im Verhältnis zwischen den Vertretern anderer Fächer, die Medienerziehung betreiben. Hier ist politisches Denken zu fordern, sind Koalitionen zu suchen und wird stellenweise Abgrenzung notwendig sein. Für die Einbeziehung der 'Medienkunst' in den Kunstunterricht ab der Mittelstufe sind geeignete Beispiele ausfindig zu machen, Unterrichtsmodelle zu entwerfen und zu erproben, ohne daß damit eine Entscheidung gegen ästhetische Produkte oder Phänomene jenseits von Medienkunst ausgesprochen werden kann.

Literatur: Hans Belting, "Das unsichtbare Meisterwerk"; Arthur C. Danto, "Die Verklärung des Gewöhnlichen"


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